Wie weit muss man gehen?

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ANALYSE. Van der Bellen hat sich für eine sichere Mehrheit verbogen. Das hat er ab sofort nicht mehr nötig. Für die SPÖ, die das Kanzleramt erobern möchte, stellt sich die Frage anders, mit Blick auf kommende Wahlen aber dringlich.

Alexander Van der Bellen kann jetzt ein noch stärkerer Bundespräsident werden. Bei der Behauptung, er habe in der Vergangenheit zu viel geschwiegen, sollte man präzise sein. Erstens: Ein Staatsoberhaupt muss sich gut überlegen, was und wie viel er sagt. Seine Macht, gewisse Dinge im Falle des Falles durchzusetzen, ist begrenzt. Zweitens: In Regierungskrisen (z.B. 2019) hat Van der Bellen eine durchaus wohltuende Leichtigkeit bewiesen. Drittens: Zum Ukraine-Krieg hat er anlässlich der Eröffnung der Bregenzer Festspiele eine große Rede gehalten, in der er nicht nur ausführte, worum es hier aus demokratischer Sicht geht, sondern immerhin auch eingestand, Wladimir Putin selbst auf den Leim gegangen zu sein. Viertens: In der Pandemie hat er zu den wenigen gehört, die zumindest in Reden nicht nur auf Gräben hingewiesen haben, sondern auch die Notwendigkeit betonten, sie zu überwinden.

Das ist angekommen: Laut Erhebungen, die das Meinungsforschungsinstitut OGM für den Vertrauensindex der APA durchführt, ist Van der Bellen der einzige Vertreter der Bundespolitik, dem eine Mehrheit vertraut. Im Sommer taten es 65 Prozent. Dieser Wert ist ziemlich konstant (umgekehrt erklärten 33 Prozent, ihm nicht zu vertrauen).

Unterschätzt wird vielleicht, dass Van der Bellen ein Politiker ist, der auch sehr berechnend sein kann. Dass er 2016 den Kaunertaler in sich (für die Öffentlichkeit) entdeckt hat, hatte damit zu tun, dass er ein bürgerlich-ländliches Österreich ansprechen wollte. Im Wissen, dass es für Stimmen aus einer breiten Mitte der Gesellschaft wichtig ist, die wiederum entscheidend für eine Mehrheit insgesamt ist.

Traditionell gibt es ja eher eine Mitte-Rechts-Mehrheit in dieser Republik. 2022 hat sich Van der Bellen dafür sogar verbogen: Er hat türkise Affären weniger hart beurteilt als blaue (Ibiza). In einem ORF-Interivew drei Tage vor der Wahl tat er diese gar als interne Parteiangelegenheit ab und vermittelte den Eindruck, dass eher nur „Höflichkeitsformeln“ missachtet worden sind von Kurz und Co.

Ein Glück ist, dass Van der Bellen derartiges ab sofort nicht mehr nötig hat. Er muss und kann nicht mehr wiedergewählt werden. Er kann jetzt sechs Jahre allein das tun, was seines Erachtens vernünftig ist. Er muss es „nur“ tun (und das wäre aufgrund der vielen Krisen wichtig).

Besonders für die SPÖ stellt sich die grundsätzliche Frage jedoch mehr denn je: Wie muss man für eine (relative) Mehrheit gehen? In ihrem Fall ist das eine Zerreißprobe: In der Teuerungskrise misst sie dem Klimaschutz kaum noch Bedeutung zu, hätte auch gegen die Einführung der (unpopulären) CO2-Bepreisung Anfang Oktober gestimmt. Damit erschwert sie sich jedoch selbst das Ziel, die Türkisen in die Opposition zu verabschieden und selbst mit Neos und Grünen eine Regierung zu bilden.

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