Zum Tod der Wiener Zeitung

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ZAHLEN ZUM TAG. Sicherung des kulturellen Erbes, nur digital ist nachhaltig? Türkise wie grüne Widersprüche sind zahlreich.

Wer wissen will, warum Teile der Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, bitte schön: Die Tage der Wiener Zeitung sind gezählt. Am 30. Juni erscheint ziemlich genau 320 Jahre nach ihrer Gründung die letzte Ausgabe. ÖVP und Grüne haben das beschlossen. Viele Leser hatte die Zeitung nicht, bot aber herausragenden Journalismus, der wesentlich für das geistige Leben in Österreich war. Warum die Vergangenheitsform? Weil de facto schon Schluss ist und die Behauptung von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP), die Zeitung werde ja erhalten, aber in einer Form, die „dem Zug der Zeit“ entspricht“, falsch ist: Sehr viele Redakteur:innen werden in wenigen Tagen zum letzten Mal für die Wiener Zeitung schreiben. Im persönlichen Gespräch hat gerade wieder einer berichtet, dass kein Wert darauf gelegt worden sei, dass er bleibt.

Armin Thurnher bezeichnet die Einstellung der Wiener Zeitung in seinem Blog als „Kulturschande“. Sie wird wohl eher Grünen zu schaffen machen, weil sie nicht nur mit höheren Ansprüchen konfrontiert sind, sondern auch entsprechende Erwartungshaltungen geweckt haben. Ihre Kulturpolitik heiße „Vielfalt“, heißt es in einem Programm von ihnen. Es gehe um die Sicherung und die Weiterentwicklung des kulturellen Erbes. Vertreten wird das federführend ausgerechnet durch Kultur- und Mediensprecherin Eva Blimlinger.

Zu teuer sei die Wiener Zeitung gewesen und zu wenige Leser habe sie gehabt, verriet sie unlängst dem „profil“. Und dass es sich um die älteste Zeitung der Welt handle – „sorry, was ist denn das für ein Argument? Es ist jedenfalls kein Argument dafür, dass es eine gedruckte Zeitung weiter geben muss.“

Vielleicht werden morgen Opernhäuser zugesperrt, werden Aufführungen in Studios aufgezeichnet und „online gestellt“, sodass sie von Usern jederzeit und immer wieder abgerufen werden können? Bei einem solchen Zugang dürfte man sich nicht wundern darüber. Billiger wär’s jedenfalls.

Print sei tot, behaupten Koalitionsvertreter immer wieder. Bei der Wiener Zeitung setze man mit einem neuen Geschäftsmodell einen „Überlebensakt“, so die ÖVP-Abgeordnete Michaela Steinacker im Nationalrat: Kaum noch jemand lese eine gedruckte Zeitung, „alle schauen aufs Handy“ – „nur digital ist nachhaltig“.

Das ist interessant: Es gilt offenbar nicht für Parteizeitungen. Steinacker müsste das wissen. Mag sein, dass nur noch wenige davon existieren. Sie aber werden vor allem auch mit öffentlichen Geldern betrieben; besonders in Oberösterreich.

Die Tageszeitung „Volksblatt“ und das „City Magazin“ werden über eine Unternehmenskonstruktion produziert, bei der die oberösterreichische Volkspartei zu 100 Prozent Treugeberin ist. Obmann: Landeshauptmann Thomas Stelzer. Beide Medien zusammen haben allein in den vier Quartalen bis Ende März 2023 öffentliche Inserate in Höhe von mehr als einer Million Euro erhalten. Knapp 600.000 Euro davon kamen vom Land Oberösterreich, eine Viertelmillion vom Landesenergieversorger und dessen Tochtergesellschaften.

So kann „Print“ funktionieren. Wenn man will. Es ist ein bemerkenswerter Ausdruck von Willkür: Die „Wiener Zeitung“ lässt man sterben, „Volksblatt“ und „City Magazin“ pflegt man.

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