Grüne verpassen den Absprung

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ANALYSE. Für Werner Kogler und Freund:innen wär’s längst an der Zeit, den Spieß in der Koalition umzudrehen und sich im Hinblick auf die Nationalratswahl neu aufzustellen.

Inhalte waren Grünen-Anhängern bei der Nationalratswahl 2019 besonders wichtig, wie ein Blick in die SORA-Befragungsergebnisse von damals zeigt. Und: Im Vordergrund standen Klima, Bildung und Korruption. Umso größer könnten die Enttäuschungen darüber sein, wie’s der Partei unter Führung von Vizekanzler Werner Kogler nun in der Regierung geht. Beziehungsweise was sie alles erträgt: Nicht einmal Reformen, die schon fix schienen, wie das Aus für Öl- und Gasheizungen bis 2040, sind noch sicher. Türkise stellen sie infrage und wollen mit sogenanntem „Hausverstand“ (ÖVP-Energiesprecherin Tanja Graf) neu darüber verhandeln.

Bei Bildung ist überhaupt Pause. Es mögen so viele Kinder sitzen bleiben wie noch nie, doch der zuständige Minister meint, es solle alles bleiben wie es ist: „Grundsatzdiskussionen bringen nichts“, verriet er der „Presse“. Sprich: Der Mann ist überflüssig, man könnte das ganze Schulwesen auch durch einen Beamten oder eine Beamtin verwalten lassen. Verhängnisvoll für die Grünen: Sie haben sich in der Bildungspolitik abgemeldet, Harald Walser war der letzte, der sich wahrnehmbar darum gekümmert hat. Er schied vor sechs Jahren aus dem Nationalrat aus.

Und dann wär‘ da noch Korruption: Da geht’s in der Regierung zwei Schritte nach vorne und einen zurück. Beziehungsweise zunehmend drei retour. Was sich bei der Abschaffung des Amtsgeheimnisses und der Einführung einer Informationsfreiheit abzeichnet, ist nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer eine derartige Mogelpackung, dass es besser wäre, gar nichts zu ändern. Gemeinden unter 10.000 Einwohner sollen nicht verpflichtet werden, von sich aus gewisse Dinge zu veröffentlichen. Aber das Amtsgeheimnis solle auch für sie fallen, beeilen sich Grüne zu betonen. Sehr frech. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat bereits wissen lassen, dass sich Gemeinden für den Umgang mit Bürger:innen-Anfragen durch die Datenschutzbehörde beraten lassen können sollen. Dass Bürgerinnen und Bürgern umgekehrt aber keine Informationsbeauftrage zur Verfügung gestellt werden sollen, die ihnen helfen, ihre Anliegen durchzusetzen. Sehr viele werden sich damit wohl oder übel mit nichts abspeisen lassen: Wie sollen sie auch wissen, wie man sich wehrt, wenn man von einem Amt eine abschlägige Antwort erhält?

Die Grünen haben nach bald vierjähriger Regierungsbeteiligung einiges auf der Haben-Seite. Ohne sie würde es weder ein Klimaticket noch einen sanften Einstieg in eine CO2-Besteuerung geben; ohne sie wäre Sebastian Kurz trotz aller Affären möglicherweise noch immer Kanzler, wäre Österreich vielleicht schon weiter Richtung Ungarn gefallen.

Aber wird ihnen das gedankt, werden sie dafür gewählt werden? Abgesehen davon, dass sie auch für bittere Enttäuschungen bei ihrer Anhängerschaft gesorgt haben im Zuge der Abschiebung von Kindern und der Einstellung der „Wiener Zeitung“, die sie noch dazu stärker verteidigt haben als die dafür hauptverantwortliche ÖVP, ist Dankbarkeit keine Kategorie. Was zählt, ist, was summa summarum in Erinnerung bleibt und ungleich mehr noch, welche Perspektive eine Partei oder Politiker:innen zu bieten haben.

So lange sich Kogler und Co. von der ÖVP am Nasenring durch die Arena führen lassen, werden sie keine solche zusammenbringen; und wenn sie erst am Tag damit beginnen, an dem der Wahltermin festgelegt wird, was praktisch gleichbedeutend ist mit dem Ende der Koalition, ist es zu spät. In den verbleibenden zwei Monaten werden dann eher zwei oder drei Kanzlerkandidaten im Mittelpunkt stehen, wird es für eine scheidende kleine Regierungspartei schwer bis unmöglich sein, quasi von vorne zu beginnen und zu vermitteln, welche Vorstellungen sie künftig aus der Opposition heraus zu vertreten gedenkt

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