Das Antieuropäische setzt sich durch

-

ANALYSE. Blaue und türkise Politik zeigt Wirkung in der Entwicklung der öffentlichen Stimmungslage. Was das für die EU-Wahl und nicht zuletzt auch für Karas bedeutet.

Wenn FPÖ-Chef Herbert Kickl vom „System“ spricht, das er als „Volkskanzler“ bekämpfen möchte, meint er unter anderem auch die EU. So weit, einen „Öxit“ zu fordern, ist er bisher nicht gegangen. Zumindest nicht direkt. Eine „Festung Österreich“ mit geschlossenen Grenzen läuft jedoch darauf hinaus.

Das Antieuropäische beschränkt sich jedoch längst nicht mehr auf Freiheitliche. Genauer: Weil sie auf beträchtlichen Zuspruch stoßen, ist auch die einstige Europapartei ÖVP dazu übergegangen, einschlägige Botschaften unter die Leute zu bringen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) behauptet nahezu wöchentlich, das Asylsystem der EU sei kaputt. Zwischendurch verteidigt er das nationale Veto gegen eine Schengen-Erweiterung oder lässt den Vertreter Brüssels in Wien, Martin Selmayr, dafür rügen, dass er mit „Blutgeld“ im Zusammenhang mit Gasimporten aus Russland die Wahrheit gesagt hat. Wobei die Rüge auch eine Rache dafür war, dass Selmyar Nehammers Bargeld-in-die-Verfassung-Ansage zerpflückt und darauf hingewiesen hat, dass Währungspolitik längst eine europäische Angelegenheit ist.

Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) distanziert sich beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter 3-Jährige wiederum demonstrativ von der EU-Quote. Und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) tut so, als würde sich die EU „in Details, neuen Verboten und Auflagen verlieren“. Zumal es die Genannten tunlichst unterlassen, eine proeuropäische Erzählung mitzuliefern, mit der gewissermaßen ein „Aber“ einhergehen würde, beginnt das Ganze in wachsenden Teilen der Bevölkerung mehr und mehr zu sickern.

Laut aktueller Eurobaromter-Erhebung finden exakt 50 Prozent der befragten Österreicher:innen, dass sich die EU in die falsche Richtung entwickelt. Das ist ein vergleichsweise hoher Wert. In allen Mitgliedsländern zusammen handelt es sich um 39 Prozent, in den baltischen Staaten gar nur um gut halb so viele. Umgekehrt glaubt nicht einmal jede fünfte Person, die in Österreich um ihre Meinung gebeten wurde, dass die Dinge in die richtige Richtung laufen.

Damit ist der kommende EU-Wahlkampf vorgezeichnet (der Urnengang wird Anfang Juni 2024 stattfinden): Für die Freiheitlichen könnte die Ausgangslage besser nicht sein. Herbert Kickl und Co. werden ihren Kurs halten. Er ist dabei, mehrheitsfähig zu werden. Grüne und Neos können sich weitgehend treu bleiben. Sie decken das proeuropäische Lager ab.

Für die SPÖ wird’s schwierig. Andreas Schieder, ihr Spitzenkandidat vom letzten Mal, ist im Unterschied zu seinem Vorgänger Hannes Swoboda selbst für politisch Interessierte kaum wahrnehmbar. De facto wird der Bundesparteivorsitzende Andreas Babler seinen voraussichtlich ersten Wahlkampf bestreiten müssen. Im Vorfeld einer Nationalratswahl wird es für ihn darum gehen, ob er ein ernstzunehmender Kanzlerkandidat werden kann oder nicht. Europapolitisch hängen geblieben ist in seinem Fall das Video, in dem er die EU als „imperialistisches Projekt“ bezeichnet hat. Mittlerweile hat er das zwar relativiert und betont, dass ihm eine (stärkere) soziale Komponente wichtig wäre, daraus muss er aber erst eine Geschichte machen, die für die SPÖ begeistern könnte.

Bei der ÖVP verstärkt die allgemeine Stimmungslage, die man selbst mitverursacht hat, wohl die Tendenz, den letzten bekannten Europäer in den eigenen Reihen fallenzulassen: Othmar Karas. Bisher hatte sie gute Gründe, an ihm festzuhalten: Er hätte zumindest die 15, 20 Prozent bürgerlichen Wähler halten können, die ihren schwarzen Kern ausmachen. Jetzt scheint aber dieser Kern auch in Bezug auf die Europapolitik kleiner und die „antieuropäische“ Wählerschaft so groß zu werden, dass es die Verlockung für sie gibt, dieses ungestört (also ohne Karas) zu bedienen. Was heißt Verlockung? Nehammer versucht ja ohnehin schon nichts anderes.

dieSubstanz.at ist ausschließlich mit Ihrer Unterstützung möglich. Unterstützen Sie dieSubstanz.at gerade jetzt >

dieSubstanz.at – als Newsletter, regelmäßig, gratis

* erforderliche Angabe


Könnte Sie auch interessieren

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner