Raabs Zynismus

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ANALYSE. Die Familienministerin sieht keine Notwendigkeit, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Die Begründung ist übel: Es gebe ja schon die Sozialhilfe.

Im äußersten Westen gibt es (vergleichsweise) wenige Linke, aber viele Pragmatiker. Darum hat vor gar nicht allzu langer Zeit auch die ÖVP eine Gemeinsame Schule gefordert. Oder: Darum hat sich der Mediziner Hans Concin in einem Gespräch für die Vorarlberger Nachrichten vor wenigen Tagen dafür ausgesprochen, allen Kindern in der Schule ein warmes Mittagessen anzubieten. Das wäre eine wirkungsvolle Maßnahme zur Armutsbekämpfung, meinte er.

Eine solche wäre verstärkt notwendig. Wie die Statistik Austria jüngst berichtete, gibt es vom Boden- bis zum Neusiedlersee insgesamt 336.000 absolut arme Menschen. Das heißt, dass sie sich das Nötigste nur schwer oder gar nicht leisten können. Ein Viertel davon sind Kinder und Jugendliche. Ihr Schicksal bzw. ihr Pech sind ihre Eltern.

Der grüne Sozialminister Johannes Rauch fordert eine Kindergrundsicherung. Sozialreferentinnen und -referenten der Länder haben sich dem angeschlossen. Wie eine solche ausschauen könnte, ist offen. Vieles ist zu bedenken: Ist eine Geldleistung, die bei den Eltern landet und bei der es daher darauf ankommt, ob diese sie (sinnvoll) für ihre Kinder einsetzen, vernünftig? Oder sollte man auch mit einem warmen Mittagessen arbeiten, das beispielhaft für eine Sachleistung steht?

Das sind wichtige Fragen: Es geht um die Ermöglichung eines würdevollen Lebens bei denen, die selbst noch nicht dafür sorgen können. Bei denen man zwar an die Verantwortung der Eltern appellieren kann, im Falle des Falles aber schauen muss, wie sie dazu kommen. Es geht um Chancengerechtigkeit, es geht um eine längerfristige Gewährleistung des allgemeinen Wohlstandes.

Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) lehnt eine Kindergrundsicherung mit dem Argument ab, dass es eine solche schon gebe: die Sozialhilfe. Das ist zynisch: Voraussetzung für die Sozialhilfe (bzw. die Mindestsicherung) ist, dass man bereits verarmt ist. Dass man so gut wie keine Ersparnisse und schon gar kein Vermögen mehr hat. Und dass auch die monatlichen Einkünfte nicht ausreichen. Kinder in solchen Familien haben schon verloren.

Zweitens: Wie dem aktuellen Sozialbericht (Band 2) zu entnehmen ist, gibt es bei Fürsorgeleistungen wie der Sozialhilfe ein Problem, das kurzfristig allenfalls den Finanzminister freut: Sie werden als stigmatisierend (oder beschämend) wahrgenommen und daher von vielen Berechtigten nicht in Anspruch genommen. Es gebe daher eine „verdeckte Armut“. Kinder von solchen Eltern haben erst recht verloren.

Außerdem heißt es in diesem Bericht, dass es unter den Sozialhilfebeziehenden verhältnismäßig viele Mehrkindfamilien gebe. Umso verhängnisvoller sei die degressive Gestaltung der Kinderrichtsätze in fünf Bundesländern – „besonders stark in Niederösterreich und Oberösterreich“. Sie schaffe „de facto Kinderarmut“.

Warum ignoriert Raab das alles? Höflich formuliert: Unmittelbar von Armut betroffene Gruppen gehören nicht zur Klientel, die parteipolitisch relevant ist für sie. Es handelt sich eher um Ein-Eltern-Haushalte, Nicht-Österericher:innen und Menschen, die in Wien leben.

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