Zu viele Karten auf dem Tisch

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ANALYSE. Ob vom Kanzler oder von der Verfassungsministerin: Putin ist mitgeteilt worden, wie man Österreich wehtun kann, um etwa Europäer auseinanderzudividieren. Schlimmer: Antworten auf hybride Bedrohungen ist man schuldig geblieben.

Natürlich, die Sanktionen müssen treffsicher sein, versucht Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seit Wochen, Parteifreunde wie den oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zu besänftigen, die zweifeln. Laut Nehammer bedeutet Treffsicherheit etwa, dass die Sanktionen „uns nicht mehr schwächen als die, denen sie gelten sollten“. Also Russland. Gas sei daher ausgenommen.

Wir sehr Österreich darauf angewiesen ist, hat Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im Frühjahr unfreiwillig offen zum Ausdruck gebracht: „Es wird sicher fünf bis zehn Jahre brauchen, um sichtbar unter die 80 Prozent zu kommen, die wir heute mit russischem Gas decken“, sagte sie in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“.

Wenn man will, geht es offenbar schneller. Im Sommer berichtete Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) schon einmal von einer 50-prozentigen Abhängigkeit. Immerhin. Was bleibt, ist jedoch dies: Edtstadler wie Nehammer haben durch ihre Äußerungen Wladimir Putin ausdrücklich mitgeteilt, wie man Österreich ganz brutal treffen kann; man muss ihm nur den Gashahn abdrehen.

Schon die bisherigen Drosselungen haben gezeigt, dass der Mann im Kreml nicht nur Sanktionen über sich ergehen lässt, sondern dass er mit einer Art Gegensanktionen antwortet. Bei der nunmehrigen Beschädigung der „Nord Stream“-Pipelines gehen Sicherheitsexperten von Sabotageakten aus und man kann nur mutmaßen, wer dahinterstecken könnte. Das Ganze erreicht aber eine neue Dimension.

Ein Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist naheliegend. Europa, also auch Österreich, ist Teil einer hybriden Kriegsführung geworden. Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger hat im Jahr 2019 das Jahr 2022 nicht vorgesehen, wie es bisher ist. In einem Grundlagenpapier hat er jedoch ausdrücklich davor gewarnt: Man müsse „auf neue Bedrohungsformen wie irreguläre Gegner, hybride Kriegsführung und Bedrohungen aus dem Cyberspace“ gefasst sein, schrieb er.

Mit der Beschädigung (oder wohl Zerstörung) der „Nord Stream“-Pipelines wird dies signalisiert: Kritische Infrastruktur ist nicht mehr sicher. Für niemanden. Österreich kann nicht ausschließen, dass der Gasfluss aus Norwegen von heute auf morgen versiegen wird; als Insel der vermeintlich Seligen hängt es über angreifbare transeuropäische Netze daran.

Die Verunsicherung, die damit einhergeht, ist schon greifbar. Wenig überraschend wird – zum Beispiel in der „Krone“ – darüber spekuliert, ob der Raffinerie-Unfall vor dem Sommer in Schwechat, auf den größere Herausforderung für die Spritversorgung folgten, ein Anschlag gewesen sein könnte. Der Staatsschutz betont, dass es keinen Hinweis darauf gebe. Die Geschichte ist jedoch draußen.

Das offizielle Österreich hat die Neutralität in den vergangenen Jahren auf eine rein militärische eingedampft. Dass es auf klassisch Militärisches noch einmal ankommen könnte, hat niemand erwartet. Zugleich aber sind andere Bedrohungen vernachlässigt worden, in denen sich die militärische quasi anders zeigen könnte. Starlingers Papier sollte dafür sensibilisieren, es war eine Appel zur Weiterentwicklung des Bundesheeres.

Die NATO scheint dieser Entwicklung hingegen Rechnung getragen zu haben: Man habe sich dazu verpflichtet, sich auf den „Einsatz von Energie und anderen hybriden Taktiken durch staatliche und nicht staatliche Akteure“ vorzubereiten, sie abzuschrecken und abzuwehren, hat sie in Bezug auf „Nord Stream“ gerade mitgeteilt. Sprich: Österreich hat sich auch in dieser Frage ein wesentliches Stück weit abhängig gemacht von anderen, obwohl es diesen (in der NATO) nicht angehören möchte und selbst so angreifbar ist. Es ist einmal mehr Trittbrettfahrer.

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