ANALYSE. In der multiplen Krise bleibt für den Präsidentschaftswahlkampf nicht der Stellenwert, den er haben sollte. Eine Folge davon sind nicht nur bescheidene Bekanntheitswerte mehrerer Kandidaten.
Für österreichische Verhältnisse findet der Präsidentschaftswahlkampf nicht ganz, aber weitgehend „unter ferner liefen“ statt. Die Erklärung, es habe damit zu tun, dass sich ein Amtsinhaber als haushoher Favorit um eine zweite Amtszeit bemühe, ist unzureichend; ebenso wie der Hinweis darauf, dass Alexander Van der Bellen ohne (einzelnen) großen Herausforderer dastehe und es keine TV-Konfrontationen gebe.
Es ist schon auch so, dass dieser Wahlkampf im Schatten multipler Krisen steht, er also bei weitem nicht die Aufmerksamkeit erlangen kann, die er unter „normalen“ Umständen hätte.
Das ist schlecht: Zu einem Wahlkampf gehört nicht nur, dass sich Kandidaten möglichst gewinnbringend selbst darstellen, sondern auch, dass sie herausgefordert werden; das muss in harten wie korrekten Interviews passieren, kann aber auch in TV-Duellen geschehen, in denen sich die Werber gegenseitig provozieren. So etwas kann einen erhellenden Stress-, ja Eignungstest ergeben. Ein solcher ist wichtig, damit die Wählerinnen und Wähler eher eine Ahnung davon bekommen, auf wen sie sich wirklich einzulassen gedenken.
Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf gibt es Zeitungs- und TV-Interviews, die unter anderem auf Twitter kleinere und größere Wellen schlagen. Aber das reicht nicht. An einem bedeutenden Teil der Bevölkerung geht das alles vorbei, wie der bescheidene Bekanntheitsgrad der meisten Kandidaten erahnen lässt (siehe Grafik).
Viele Leute nehmen allenfalls auf, dass Kandidat Michael Brunner vorgibt, sämtliche Krisen mir nichts, dir nichts auflösen zu können. Oder dass Gerald Grosz Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Co. auf der Stelle nach Hause schicken würde. Die Wirkung solche „Informationsfetzen“ sollte man in Zeiten wie diesen, in denen der Regierung immer weniger zu-, geschweige denn vertraut wird, nicht unterschätzen; sie ist unberechenbar.
Andererseits verweist das alles auf ein grundsätzliches Krisenproblem: Bei schier unendlich vielen Themen und Herausforderungen kann man sich nur auf Ausgewähltes konzentrieren. Das bringt es mit sich, dass andere Dinge liegen bleiben. Konkret: Schon seit Ausbruch der Pandemie gibt es so gut wie keine Auseinandersetzung mehr mit Bildungsfragen; der (jeweilige) Minister ist eher nur damit beschäftig, Unterricht auch bei verstärktem Infektionsgeschehen zu ermöglichen. Nicht einmal die Absicherung der Altersversorgung befindet sich noch im Fokus. Das heißt was: Mit „Pensionen“ hat sich die österreichische Innenpolitik von den 1990er bis in die 2010er Jahre alles in allem mehr beschäftigt als mit anderem. Zu klären würde es hier noch viel geben. Es ist jedoch vergessen.