Wochen der Entscheider

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ANALYSE. Europaweit erfreuen sich zahlreiche Regierungschefs steigender Umfragewerte. Alles gut? Vorsicht.

Markus Söder wird’s wohl selbst kaum geglaubt haben: Anfang April ließen 94 Prozent der Personen, die im Rahmen einer BR-Erhebung um eine Bewertung gebeten worden waren, wissen, dass sie mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zufrieden seien: vierundneunzig Prozent. Auch die CSU, deren Obmann er ist, sollte davon profitieren. Mit 49 Prozent wird ihr derzeit ein Wert ausgewiesen, wie sie ihn schon länger nicht mehr erreicht hat. Bei der Wahl vor zwei Jahren hatte sie sich mit 37,5 Prozent begnügen müssen.

Klar, 94 Prozent sind schon außerordentlich. Sie bringen jedoch etwas zum Ausdruck, was sich in zahlreichen Staaten feststellen lässt: Krisenmanagerinnen und Krisenmanager sind gefragt; selbst wenn die Umstände katastrophal sind, erfreuen sie sich derzeit ungewöhnlich hoher Zustimmungsraten. Extreme in Opposition stürzen dagegen ab.

Die Stimmungslage in den EU-Mitgliedsländern wird zum Beispiel von der Initiative „Europe elects“ erfasst. An Söders Wert kommt auf nationaler Ebene zwar niemand heran. Wohlwollen, Vertrauen oder Zustimmung erreichen aber auch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (79 Prozent), der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (79), beim österreichischen Kanzler Sebastian Kurz (77 Prozent), dem Niederländer Mark Rutte (75 Prozent) oder auch bei den Regierungen des Ungarn Viktor Orban (74 Prozent) und des Italieners Giuseppe Conte (71 Prozent) ein hohes und meist auch viel höhere Niveau als vor wenigen Monaten.

In der Regel hat auch die Partei hinter dem jeweiligen Regierungschef etwas davon. Die ÖVP legte von 38,5 auf rund 44 Prozent zu, die CDU von 26 Prozent auf 37,5 Prozent und die Partei von Frederiksen klettere von unter auf über 30 Prozent.

Extreme in Opposition verlieren dagegen. Die FPÖ in Österreich kommt ebenso nah an zehn Prozent heran wie die AfD in Deutschland. Sprich: Die Einsteilligkeit ist nah. Auch die Lega Nord von Matteo Salvini muss – ausgehend von über 30 Prozent – Verluste hinnehmen.

Alles gut? Vorsicht. Aus demokratiepolitsicher Sicht sind diese Verhältnisse nicht nur erfreulich und im Übrigen auch mit Vorsicht zu genießen. Zunächst jedoch eine positive Dimension: Gerade in schweren Zeiten können Regierende ein paar wichtige Funktionen erfüllen. Erstens: Wenn sie entscheiden, müssen sie nicht abstürzen; im Gegenteil, jetzt können sie erst recht gewinnen. Zweitens: Sie können integrativ wirken. Soll heißen: Ganz offensichtlich sprechen sie auch Menschen an, die sie oder ihre Partei nie und nimmer wählen würden. Drittens: Sie müssen bei alledem auch nicht davon ausgehen, an extreme Oppositionskräfte zu verlieren; es ist vielmehr so, dass diese Kräfte gerade weniger gefragt sind.

Andererseits: Regieren ist derzeit nicht sehr demokratisch. Es ist eher autoritär. Wir befinden uns schließlich in einer Art Notstand. Für große Debatten ist da wenig Zeit. Und überhaupt: Die Stimmung kann schnell wieder kippen.

Heute steht die Bewältigung der Gesundheitskrise im Vordergrund. Da ist jede Aktion willkommen, die die Hoffnung darauf nährt, dass das gelingen könnte; und handle es sich um Ausgangsbeschränkungen oder eine Mundschutzpflicht. Längerfristig ist jedoch eine ganz andere Krise zu befürchten, eine wirtschaftliche und (für viele) existenzielle nämlich. Und da wird es für Regierende ungleich schwerer und für Populisten, die keine Verantwortung tragen, einfacher, zu punkten.

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