Wer im Glashaus sitzt

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BERICHT. Die ÖVP will in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss „rot-blauen Machtmissbrauch“ insbesondere in Bezug auf Inserate unter die Lupe nehmen. Ausgerechnet sie.

Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) gilt als Erfinder dessen, was immer wieder als Inseratenkorruption bezeichnet wird. Er hatte einst schon als Wohnbaustadtrat in Wien damit angefangen, vor allem Boulevardmedien mit Werbung – auf Steuerzahlerkosten – zuzupflastern. Als Regierungschef setzte er das dann fort.

Davon wird im kommenden Jahr öfter die Rede sein: Die ÖVP hat einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit dem Titel „Rot-blauer Machtmissbrauch“ beantragt. Dabei soll unter anderem die Inseratenpolitik sozialdemokratischer und freiheitlicher Regierungsmitglieder auf Bundesebene 2007 bis 2020 unter die Lupe genommen werden. Konkreter etwa die Höhe der jährlichen Ausgaben, aber auch damit einhergehende Versuche, Berichterstattung zu beeinflussen sowie allfällige Kick-Back-Zahlungen zugunsten der Parteien (vgl. Antrag).

Die Strategie ist riskant. Faymann mag Machtmissbrauch durch Inseratenschaltungen erfunden haben. Unter Sebastian Kurz hat dieser Missbrauch jedoch eine neue Dimension erlangt. Das macht nicht besser, was der Sozialdemokrat gemacht hat. Es relativiert auch nichts. Es rechtfertigt aber auch nicht, was unter Kurz geschehen ist.

Beispiel 1: Das Kanzleramt hat unter Faymann ab 2013 2,4 bis 2,8 Millionen Euro jährlich für Inserate ausgegeben (bzw. gemeldet). Unter Kurz handelte es sich 2018 um dreieinhalb Millionen Euro. 2020 und 2021 waren es sogar mehr als 20 Millionen Euro. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass es sich um Corona-Informationen handelte, die in der Bundesregierung über das Kanzleramt gebündelt liefen.

Beispiel 2: Bemerkenswert ist die Entwicklung im Finanzministerium. 2015 meldete es ein ungewöhnlich niedriges Inseratenvolumen von 0,1 Millionen Euro. 2017, als Thomas Schmid Generalsekretär im Ressort war, handelte es sich um 3,5, 2018 und 2019 – unter türkiser Verantwortung – sogar jeweils um über sieben Millionen Euro.

Beispiel 3: Das Innenministerium verzeichnete 2018 unter Herbert Kickl, dem heutigen FPÖ-Chef, ein Volumen von 2,4 Millionen Euro. Viel? Wenig? Wie man’s nimmt: Unter Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) waren es mit 2,9 Millionen Euro mehr.

Beispiel 4: Im Ressort gab es bei Kickl eine Boulevardlastigkeit. Sie ist fragwürdig und hat hier Tradition. Bei Nachfolger Karl Nehammer wurde sie fortgesetzt. 92 Prozent der Inserate für Tageszeitungen flossen – wie hier berichtet – allein an „Krone“, „Heute“ und „Österreich“.

Beispiel 5: Kickl ließ auch im extrem rechten „Wochenblick“ inserieren, der der FPÖ nahestand, für Verschwörungstheorien bekannt war und heute nicht mehr existiert. 2018 gab es hier Ressortwerbung um 9270 Euro. Bei Nehammer gab’s das nicht. Hier fällt 2020 aber dieser Posten auf: 20.195 Euro für „ab5zig“, ein „Magazin für Lebensfreude“. Betreiber: Ein Verein des Seniorenbundes der Wiener Volkspartei.

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