Sobotka verlässt den Verfassungsbogen

ANALYSE. Der Innenminister will erneut gegen die Versammlungsfreiheit vorgehen. Dabei ist eine „Lex Erdogan“ nicht nur überflüssig. Sie könnte auch Folgen für Ungarn, Polen und andere haben. 

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ANALYSE. Der Innenminister will erneut gegen die Versammlungsfreiheit vorgehen. Dabei ist eine „Lex Erdogan“ nicht nur überflüssig. Sie könnte auch Folgen für Ungarn, Polen und andere haben. 

Damit der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nicht in Österreich auftreten kann, will Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) möglichst schnell die Versammlungsfreiheit einschränken. Das ist schon einmal grundsätzlich verdächtig: Heuer hat er ja schon einen anderen Anlauf dazu unternommen; und das lässt den Schluss zu, dass er überhaupt ein Problem mit Freiheitsrechten hat. Also gehört er sicherheitshalber von vornherein zurückgewiesen. Zumal Anlassgesetzgebung in diesem Bereich genau so viel zu suchen hat: null.

Dass Erdogan hierzulande für eine Präsidialdiktatur wirbt, in der auch die Todesstrafe wieder existiert, kann niemand wollen. Immerhin aber könnte schon das bestehende Versammlungsrecht eine Handhabe dazu liefern. § 6 lautet schließlich: „Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.“ Diese Formulierung lässt so viel Interpretationsspielraum zu, dass fast alles möglich ist; auch ein Verbot einer Erdogan-Kundgebung.

Im Ö1-Morgenjounral erklärte der Innenminister, worum es ihm geht: „Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, man kann sich nicht von einem fremden Staat politische Auseinandersetzungen ins Land tragen lassen.“ Im vorliegenden Fall ist das nachvollziehbar. Es kann aber auch ganz andere Konstellationen geben: Exilpolitiker beispielsweise, die in Österreich leben und die sich hier auch engagieren, Kundgebungen gegen die Regierung ihres Heimatlandes organisieren und so weiter und so fort – auch mit ihnen werden „von einem fremden Staat politische Auseinandersetzungen“ gewissermaßen importiert. Doch diesbezüglich sollte eine wehrhafte Demokratie eine sehr hohe Schmerzgrenze haben.

Die Ankündigung von Sobotka, ein Auftrittsverbot für ausländische Politiker dann zu ermöglichen, „wenn dies dem Schutz der in der Europäischen Menschenrechtskonvention liegenden Menschen- und Grundrechte dient“, macht die Sache nicht besser: Nicht nur im Falle der Türkei wäre eine Untersagung unter diesen Umständen denkbar, sondern auch Russlands, der Ukraine oder gar von EU-Mitgliedsländern wie Polen und Ungarn; sie alle stehen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in der einen oder anderen Form auf Kriegsfuß. Die Pressefreiheit etwa ist nirgends auf einem ordentlichen Niveau gewährleistet.

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