Kurz‘ Gegenwirklichkeit

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ANALYSE. Der Bundeskanzler schafft es wieder einmal, eine Geschichte zu seinen Gunsten umzudeuten. Oder: Warum er gestärkt aus den Ermittlungen gegen ihn hervorgehen könnte.

Geschichte wiederholt sich: Als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor ziemlich genau zwei Jahren unmittelbar nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos das Ende der türkis-blauen Koalition verkündete, gab es nicht wenige Hinweise darauf, dass hier seine Regierung gescheitert sei; und dass er ja gewusst habe, auf wen er sich mit Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl und Co. einlasse. Das zählte sogar zur Grundlage eines Misstrauensantrages gegen ihn, der auf parlamentarische Ebene eine Mehrheit fand. Bald war das jedoch vergessen. Genauer: Kurz und seine Leute schafften es, das vergessen zu machen, sie spülten Medien mit anderen Geschichten, das Ergebnis ist bekannt.

Jetzt ist Kurz noch mehr unter Druck geraten. Und wenn nicht alles täuscht, geht es wieder in eine Richtung, die ihm gefällt: Vergessen sind schon einmal Chat-Nachrichten wie jene von ihm, dass Thomas Schmid einem Kirchenvertreter „Vollgas“ geben solle; oder dass er, Schmid, eh alles bekomme, was er wolle. Ja, schon nach wenigen Tagen beinahe vergessen ist, dass die Staatsanwaltschaft unter anderem gegen Kurz ermittelt wegen des Verdachts auf Falschaussagen im Ibiza-U-Ausschuss.

Im Vordergrund steht heute dies: Es gibt eine „Anzeigenkultur der Opposition“, ein „gewisses System“, das die politische Kultur „zerstört“; im U-Ausschuss werde mit Unterstellungen und Provokationen gearbeitet und versucht, jedes Wort im Mund umzudrehen. Kurz selbst bekräftigt, „Ziel von all dem ist, Kurz muss weg“.

Am Sonntag erklärt der Kanzler im „Krone“-Interview, er habe sich noch keinen Anwalt genommen. Wozu auch? „Ich mir nichts zuschulden habe kommen lassen.“ Am Montag berichtet „Österreich“, ÖVP-Anwalt Werner Suppan habe beim Straf- und Strafverfahrensprofessor Hubert Hinterhofer eine strafrechtliche Stellungnahme in der Causa Sebastian Kurz beauftragt. Ergebnis: Es gebe „starke Zweifel“, dass Kurz „vorsätzlich“ falsch ausgesagt haben könnte vor dem Ausschuss. Titel der Geschichte: „Kurz schlägt mit Gutachten zurück.“

All das dient nicht nur der Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft im Sinne eines vorsorglichen Wahlkampfes. Hier wird an einer anderen Wirklichkeit gearbeitet, die letzten Endes auch auf einen weiteren Angriff auf die Justiz hinausläuft: Ziel ist es, Kurz um jeden Preis zu halten. Ganz egal, was bei der Justiz herauskommt. Erzählung A: Im Vordergrund steht eine Opposition, die aus niederen Motiven „anpatzt“. Erzählung B: Im Mittelpunkt steht ein Kanzler, der sich immer nach bestem Wissen und Gewissen geäußert und sich nichts zu Schulden kommen lassen hat. These: Wenn sich diese beiden Erzählungen weiter so verfangen in der allgemeinen Wahrnehmung, könnte nicht einmal eine allfällige Verurteilung eine Konsequenz haben – außer jener, dass sie eben als Versuch gewertet wird, Kurz zu stürzen.

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