Türkisfunk

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ANALYSE. Die ORF-Übertragung einer Sebastian-Kurz-Show diente der „Message Control“, nicht informierten Bürgerinnen und Bürgern, denen der Öffentlich-Rechtliche verpflichtet wäre.

„Der Österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrages (…) die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme (…) zu gewährleisten.“ Quelle: ORF-Gesetz. Davon, dass der Sender einer Regierungspartei zu dienen hat, ganz egal, ob es sich gerade um ÖVP, SPÖ, FPÖ oder Grüne handelt, steht hier kein Wort. Ist ja logisch: Er ist allen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet, die sich als demokratische Wesen möglichst unbeeinflusst eine Meinung bilden können müssen.

Am Samstag hat der ORF der „Neuen Volkspartei“ von Bundeskanzler Sebastian Kurz gedient: Er hat ihr gewissermaßen den Sendeplatz für eine Live-Sendung geschenkt. Mit Journalismus hatte das nichts mehr zu tun: Zu sehen war der Parteitag der Jungen ÖVP mit Kurz, gleich zur Begrüßung trat kein Redakteur auf, der das Ereignis im eingangs erwähnten Sinne zumindest eingeordnet hätte; sondern Peter Leo Eppinger, ÖVP-Gemeinderat in Wien und persönlicher Stimmungsmacher von Kurz bei öffentlichen Veranstaltungen.

ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann hat das Ereignis auf Twitter korrekt kommentiert: Aus seiner Sicht habe es keinen journalistischen Grund für die Live-Übertragung gegeben. Thomas Prantner, stellvertretender Direktor für Technik, Online und neue Medien, widersprach tags darauf via „Standard“, die Entscheidung sei aus journalistischen Gründen erfolgt „da im Programm des Bundestags ein Auftritt von Bundeskanzler Kurz angekündigt war und wir aufgrund der aktuellen politischen Diskussion rund um eine mögliche Anklage gegen den Bundeskanzler im Interesse einer aktuellen Information des Publikums live dabei sein wollten“.

Das schreit nach ein paar Anmerkungen. Zunächst: Prantner wird zum Kreis der Kandidaten für die Nachfolge von Generaldirektor Alexander Wrabetz gezählt. Die Wahl findet im August statt, maßgebend sind türkise Stimmen. Womit sich der Kreis schließt: Hier könnte der Anschein eines Gebens und Nehmens entstehen – und schon allein dieser Anschein ist ORF-schädigend.

Schlimmer: Eine solche Sendung ist eine Kampfansage an Journalismus. Warum? Weit angenehmer als ein Interview z.B. im Report oder in der ZIB2 ist für Kurz (wie für jeden anderen Politiker) eine Inszenierung, die wie ein JVP-Parteitag von Familienmitgliedern gestaltet wird – und die der ORF dann schlicht OTS-mäßig überträgt (OTS steht für Original-Text-Service, einen Presseaussendungsdienst der Austria Presseagentur).

Im Klartext: Es ist geradezu frivol von Thomas Prantner, im konkreten Fall von journalistischen Überlegungen zu sprechen. Indem Türkisen eine ungestörte Bühne überlassen worden ist, ist Journalismus ja gerade abgemeldet worden. Kurz durfte zum wiederholten Mal seine Sicht der Ermittlungen bezüglich einer möglichen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss präsentieren. Diesmal aber eben ganz, wie’s allein ihm und seinen Freunden gefiel – und wie’s vom ORF letztlich auch verbreitet wurde

All das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier um ein sehr grundsätzliches Problem geht: Es ist unerträglich, wie bestimmend Parteien in Bezug auf die ORF-Führung (und Landeshauptleute auf die ORF-Landesdirektoren) noch immer sind; sie nützen das in einer Art und Weise, als müssten sie den Öffentlich-Rechtlichen nicht im Sinne aller Menschen in Österreich, sondern allein im eigenen Interesse ausrichten. In Zeiten der Großen Koalition war das nicht besser, SPÖ und ÖVP bildeten allenfalls ein Gleichgewicht des Schreckens. Die Neue Volkspartei ist mit den Grünen eher eine Alleinherrschaft in solchen Machtfragen.

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