Köstinger lässt tief blicken

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ANALYSE. Auch in der Pandemie geht es ausschließlich um billige Parteipolitik. Damit ist noch Schlimmeres zu befürchten.

Zwar im Rahmen einer ÖVP-Aussendung, aber als Mitglied der Bundesregierung teilte Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger diese Woche wieder einmal gegen das rote Wien aus. „Angesichts der österreichweit höchsten Inzidenz, der höchsten Intensivbettenbelegung und der niedrigsten Impfquote im Osten ist es verständlich, dass die Stadt Wien nun reagieren und Maßnahmen setzen muss“, so die Ministerin. Und überhaupt: „Die Pandemie verlangt Anpacker und keine Anpatzer, die immer einen Schuldigen für die eigene schlechte Situation suchen.“

Abgesehen davon, dass letzteres auch an die eigene Adresse gerichtet sein könnte, hatte Köstinger doch erst vergangene Woche keinerlei Mitverantwortung der türkis-grünen Regierung für die bescheidene Impfquote ganz Österreichs eingestanden, sondern wörtlich nur gemeint, „FPÖ-Propaganda“ sei „schuld“ daran, lässt diese Aussendung tief blicken.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die Bundeshauptstadt steht nicht gut da, allfällige Fehler und Versäumnisse gehören thematisiert. Hier aber geht es um eine Beschränkung eines Mitglieds der Bundesregierung allein darauf, die zudem ausschließlich parteipolitisch motiviert ist. Im vergangenen Herbst, als in Wien ein Gemeinderatswahlkampf stattfand, haben sich Köstinger und Freunde eingehend mit dem dortigen Coronamanagement beschäftigt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat sich gar als „Wellenbrecher“ angeboten. Womit wohl die Botschaft einhergehen sollte, dass die Sozialdemokraten komplett überfordert seien.

Entlarvend ist, dass eine vergleichbare, auch nur nüchtern-kritische Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Oberösterreich, wo an diesem Sonntag gewählt wird, nicht einmal in Ansätzen stattfindet: Köstinger weiß. warum sie bei der Impfquote Wiens eine Einschränkung auf den Osten vornimmt. Schon in der Mitte gibt es eine wesentlich niedrigere, nämlich die niedrigste bundesweit: In Oberösterreich sind erst 58,77 Prozent auch nur einmal geimpft (Stand: 21. September). In Wien handelt es sich wenigstens um 62,40 Prozent.

In beiden Ländern sinkt außerdem die Inzidenz bestätigter Infektionen und ist ähnlich hoch (Wien 194, OÖ 191). Wien und Oberösterreich sind des Weiteren die einzigen Bundesländer, die den ersten „Grenzwert“ von zehn Prozent Intensivbelegung überschritten haben. Und im oö. Bezirk Braunau ist schon notwendig geworden, was sonst noch überall erspart geblieben ist in diesem Herbst: Ausreisekontrollen.

Solche „Wettbewerbe“ sind jedoch absurd. Sie entsprechen diesem „Wir sind besser als die anderen durch die Krise gekommen“, das Sebastian Kurz immer dann betont, wenn es vorübergehend nicht ganz schlecht läuft. Derzeit unterlässt er es.

Gerade in der Pandemie, die politisch ohnehin schwer bis gar nicht beeinflussbar ist, könnte Politik gewinnen, wenn sie sich nüchtern auf die Herausforderungen konzentrieren und Stärken und Schwächen ganz ohne türkisen, schwarzen oder sonstigen Zugang benennen würde. Wer sich ständig hervorheben und (parteipolitische) Mitbewerber niedermachen muss, ist dazu aber halt nicht in der Lage.

Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Österreich bzw. seine Politik auf eine Strategie zur Bekämpfung der Pandemie vergessen hat und stattdessen von Tag zu Tag an Maßnahmen herumdoktert, sodass sich niemand mehr auskennt. Wirklich schlimm ist jedenfalls, dass das auch sonst der Sache, also großen Herausforderungen, im Weg steht: So erklärt sich – zusätzlich zu einer populistischen Grundhaltung – wohl auch diese Zukunftsvergessenheit in Bezug auf die Sicherung von Pensionen, Pflege und Gesundheitswesen. Ganz zu schweigen von der Klimakrise. Weil jede notwendige Veränderung mit dem Eingeständnis einer gewissen Fehlbarkeit bzw. damit verbunden wäre, dass bisher zu wenig gemacht worden ist, lässt man es lieber ganz sein.

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