Kanzler des Übergangs

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ANALYSE. Mit Nehammer wird zunächst nur alles auf „null“ gesetzt. Das hat keine Zukunft. Es hatte schon einen Grund, dass Kurz versucht hatte, über Probleme der Politik im Allgemeinen und der ÖVP im Besonderen hinwegzutäuschen.

Einen Besseren als Karl Nehammer konnte die ÖVP nicht finden für Kanzler- und Obmannschaft. Ganz nüchtern betrachtet: Er ist am ehesten in der Partei verankert, kennt sie in- und auswendig. Und er kennt vor allem auch das Regierungsgeschäft, ist trotz aller Widersprüche (Stichwort Abschiebungen) bemerkenswert geachtet bei den Grünen. Sprich: Mit ihm kann alles weitergehen, ist eine gewisse Stabilität garantiert.

Der trükise Touch kann den ÖVP-Landeshauptleuten ebenfalls recht sein. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt: Karl Nehammer ist zwar nicht Sebastian Kurz und hat vorerst auch nicht das Potenzial, so beliebt zu werden wie dieser zu seinen besseren Zeiten. Er steht aber inhaltlich für das, was der Partei in den vergangenen Jahren sehr viele Stimmen gebracht hat: ein erbarmungsloser Kurs gegenüber Flüchtlingen und Migranten.

Darüber hinaus wird’s heikel: Von Jänner 2018 bis Jänner 2020 war Nehammer Generalsekretär der neuen Volkspartei. Er hat damit den Knochenjob für die Türkisen erledigt. Was für ihn spricht: Chats und Praktiken a la Thomas Schmid sind nicht überliefert von ihm. Was offen ist: Die Entwicklung der Parteifinanzen in jenen Jahren. Vor seiner Amtszeit, bei der Nationalratswahl 2017, ist die gesetzliche Kostenobergrenze nicht nur weit überschritten worden, es sind laut Rechenschaftsbericht der Bundesparteiorganisation auch 15 Millionen Euro an Krediten aufgenommen worden. Bei wem und zu welchen Konditionen, ist unbekannt. Zurückbezahlt wurde laut bisher vorliegenden Berichten kaum etwas. Bemerkenswerter: Für 2019, also in der Amtszeit von Nehammer, als die nächste, im Vorfeld sehr kostenintensive Wahl stattfand, liegt noch kein Rechenschaftsbericht vor. Der Rechnungshof ortete offene Fragestellungen. Antworten lassen auch sich warten, werden möglicherweise erst im kommenden Jahr vorliegen.

Intern zu befürchten hat der künftige Bundeskanzler und ÖVP-Chef nichts. Er hat ganz offensichtlich die Unterstützung der niederösterreichischen Landesorganisation von Johanna Mikl-Leitner und steht zu seiner Sicherheit auch insofern unter ihrer Kontrolle, als sie ihren personellen Einfluss durch Ministerkandidaten wie Gerhard Karner (Inneres) beträchtlich erweitert. Und überhaupt: Die niederösterreichische Landesorganisation ist die letzte große der alten Volkspartei, die heute noch passabel dasteht. Ihre einstigen Mitbewerber im parteiinternen Gefüge, die Steirer und die Oberösterreicher, sind entweder klein geworden oder bei der Bewältigung der Coronakrise überfordert.

Wie auch immer: Alles in allem tritt Nehammer zunächst nur als Kanzler des Übergangs an. Zu schaffen machen ihm vor allem auch Dinge, die in diesem Text bisher noch nicht erwähnt worden sind. Erstens: Es hatte seinen Grund, dass Sebastian Kurz die Partei vergessen und eine türkise Bewegung daraus machen wollte. Bundesweit geht mit traditionellen Strukturen und Methoden gar nichts mehr. Was Kurz zum Verhängnis geworden ist, ist, dass es ihm bei alledem nicht um die Republik, sondern um das Fortkommen von ihm selbst und seiner „Familie“ gegangen ist. Koste es, was es wolle. Jetzt sie die ÖVP wieder auf alt bzw. auf null gesetzt. Das ist keine Ausgangslage für Wahlerfolge.

Schlimmer für sie: Sie erodiert so, wie sie immer war, zunehmend auch in den Ländern. In der Coronakrise sieht man, dass Landesfürsten, die es gewohnt sind, Macht zu verwalten, populär zu wirken und Geld zu verteilen, bei der Bewältigung großer Herausforderungen, wie sie eher zahlreicher werden (Stichwort Klimakrise), ein Problem darstellen. Siehe Günther Platter in Tirol, Wilfried Haslauer in Salzburg und Thomas Stelzer in Oberösterreich.

Das ist das eine. Das andere: Intransparenz lässt sich zwar auf gesetzlicher Grundlage halten, nicht aber gegenüber einer Öffentlichkeit, die sich immer weniger für dumm verkaufen lässt. Natürlich können die SPÖ-geführte Stadt Wien oder die Vorarlberger Volkspartei behaupten, bei Inseratengeschäften alle Vorgaben eingehalten zu haben. Diese Vorgaben sind jedoch lächerlich: Wenn es etwa möglich ist, dass der Vorarlberger Wirtschaftsbund als entscheidender Teil der Partei Einnahmen aus Inseraten nicht veröffentlichen muss, die im Laufe der Zeit in ihrer Dimension der Landesparteienförderung für die ÖVP entsprechen, dann spricht das Bände. These: Solche Intransparenz wird sich nicht mehr lange halten lassen; oder diejenigen, die glauben, sie weiter praktizieren zu müssen, werden verschwinden.

Soll heißen: Will Nehammer mehr als nur eine Übergangslösung werden, muss er eine umfassende Erneuerung angehen; und zwar eine solche, die im Unterschied zur inszenierten von Sebastian Kurz wirklich ernst gemeint ist.

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