Grüner Befreiungsversuch

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ANALYSE. Für die Grünen ist die Regierungsarbeit an der Seite der ÖVP gefährlich geworden. Sich zu retten ist jedoch schwer.

Summa summarum waren die Bestellung von Andrea Mayer zur Kulturstaatssekretärin und Stefan Wallner zum Kabinettschef von Vizekanzler Werner Kogler sowie die Entmachtung von Sektionschef Christian Pilnacek durch Justizministerin Alma Zadic nicht zufällig; sie stehen vielmehr für einen kleinen Neustart- bzw. einen großen Befreiungsversuch der Grünen in der Bundesregierung.

Aus ihrer Sicht hatte es dort ja von allem Anfang an einen Konstruktionsfehler gegeben: Ihr Kalkül, der ÖVP fast alles zuzugestehen, um zumindest beim Klimaschutz einiges erreichen zu können, war hochriskant. Und so musste es kommen, wie es gekommen ist: Kaum ein Tag ohne Kritik daran, was sie nicht wieder in der Flüchtlings-, in der Medien- oder in der Europapolitik erdulden.

Viel gefährlicher noch wurde es in der Coronakrise für Kogler und Co.: Klimaschutz war plötzlich gar kein Thema mehr. Und Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat in einem Interview in den Vorarlberger Nachrichten auch schon durchklingen lassen, dass man in der Volkspartei ganz offensichtlich davon ausgeht, dass sich die Prioritätensetzung nachhaltig ändern muss.

Vor allem aber müssen die Grünen ihre guten Umfragewerte mit Vorsicht zu genießen: In der Krise schart sich die Masse grundsätzlich eher um die Regierenden. Das ist jedoch nicht von Dauer. Im Gegenteil: Die Wut vieler Kulturschaffender haben die Grünen bereits abbekommen. Das Unbehagen sehr vieler Wähler über ein durchaus autoritär-willkürliches, kaum evidenzbasiertes Krisenmanagement der Regierung folgt. Es ist türkis geprägt – und schadet den Grünen. Siehe Untersuchungen der Uni Wien: Auf einer Skala von null bis zehn, die für kein bis maximales Vertrauen steht, geben Grünen-Wähler dem Kabinett von Sebastian Kurz durchschnittlich nur noch einen Wert von 6,2. Im März waren es 7,5. Sprich: Sie sehen das Ganze zunehmend kritisch.

Das bisherige Problem der Grünen war, dass ihre Beiträge ohne Dank geblieben sind. Kein Wunder: Werner Kogler weist gerne darauf hin, dass er verhindert habe, dass im März eine Ausgangssperre verkündet worden ist; die ÖVP habe eine solche gefordert. Problem: Nach diesem Muster haben Kogler und Co. schon bei den Koalitionsverhandlungen sehr viel erreicht. Sie haben also immer wieder noch Schlimmeres verhindert. Was ein Erfolg sein mag, aber halt keiner ist, für den man gewählt wird.

Im Übrigen kann all das auch eine verhängnisvolle Einladung an die ÖVP sein: Wenn sie 100 Prozent durchsetzen will, muss sie nur mit 150 Prozent in die Gespräche mit den Grünen gehen, um letzten Endes eben mit 100 Prozent auszusteigen. Beispiel: Bei den Koalitionsverhandlungen drängte die ÖVP auf eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik. Durchgebracht hat sie „nur“, dass es bei der bisherigen, der türkis-blauen geblieben ist. Mehr hat sie in Wirklichkeit auch gar nicht gebraucht.

Die Grünen brauchen auf Dauer mehr. Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi und Vorarlbergs Landesrat Johannes Rauch haben in den letzten Wochen schon vorgezeigt, wie’s gehen könnte: Eigene Akzente setzen, damit grün neben türkis erkennbar wird. Willi drängte als Erster auf raschere Lockerungen coronabedingter Beschränkungen, Rauch sprach sich gegen eine AUA-Rettung unter den gegebenen Umständen aus. Klar: Sie wird gerettet. Aber Rauch hat wenigstens dieses eine Signal gesetzt.

Und jetzt sind eben auch Kogler und Zadic zur Aktion übergewechselt. Mit Stefan Wallner hat der Vizekanzler und Parteichef einen Mann engagiert, der immer auch die öffentliche Wirkung im Auge hat. Was nichts Verwerfliches ist. Im Gegenteil, gerade in einer Demokratie ist Politik auf Dauer abhängig von breiter Unterstützung. Zadic wiederum zerschlägt mit der Riesensektion von Pilnacek einen Machtapprat, der unter schwarz-türkiser Federführung geschaffen worden ist und der schwarz-türkisen Kreisen schon einmal wohl(er)gesonnen war.

Was kommt, bleibt freilich schwierig: Wie auch immer sich die Pandemie weiterentwickelt, der Staat hat eine grundsätzliche Krise. Viele Arbeitslose, mehr Armut, explodierte Schulden. Womit sich zumindest zwei türkis-grüne Konflikte abzeichnen: Verteilungskämpfe in der Sozial- und Steuerpolitik (z.B. Erbschaftssteuer); und ein ganz neues Ringen um Klima- und Wirtschaftspolitik.

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