KOMMENTAR. Bei der ORF-Wahl gibt sich Sebastian Kurz eine Blöße: Sein Kurs ist allenfalls nur in der Inszenierung neu. Zu befürchten hat er nichts. Grüne machen vieles möglich.
ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann hat bei der Verleihung des Concordia-Preises an ihn eine bemerkenswerte Rede gehalten vor wenigen Wochen. Ein Satz wird besonders oft zitiert: Bei der Wahl des neuen Generaldirektors geht es nicht um Ideen. „Es geht darum, wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben.“ Also durfte sich Vizefinanzdirektor Roland Weißmann schon frühzeitig die größten Hoffnungen machen: Er ist der Mann von Sebastian Kurz. Die „Tiroler Tageszeitung“ hat ihn zugespitzt als „Thomas Schmid des ORF“ bezeichnet. Laut „Standard“ ist er schon vor dem Sommer gemeinsam mit Kurz‘ Medienbeauftragtem Gerald Fleischmann und den türkisen Stiftungsräten zusammengesessen – etwas, was sonst kein Kandidat, keine Kandidatin tun durfte und was auch von daher signalisierte, wohin die Reise geht.
An dieser Stelle könnte man einen Punkt machen: All das ist doch typisch Österreichich. „War immer schon so.“ Das ist richtig und doch nicht ausreichend für eine Bewertung dessen, was hier passiert.
Erstens: Sebastian Kurz ist 2017 angetreten, vieles neu und besser zu machen. Im Wissen, dass Parteien alt wirken und zumindest auch seine unpopulär geworden ist über die Jahre, wies er sie als Bewegung mit neuer Farbe aus. Im Übrigen vermittelte er gezielt den Eindruck, dass politischer Einfluss reduziert und mehr Freiheiten ermöglicht werden sollten; dass bei Postenbesetzungen endlich Dinge wie Leistungen und Kompetenzen entscheidend werden sollten.
Doch schmeck’s: In Wirklichkeit hat sich unter Kurz gar nichts geändert. Vgl. die bekannten Chat-Protokolle. „Familienmitglieder“ werden etwas. Lästige Leute werden niedergemacht („Vollgas“). Sogenannte Landschaftspflege wird abgesehen davon pervertiert. Siehe Inserate in nie gekannter Höhe, die bei weitem nicht allein mit dem Informationsbedarf in der Pandemie erklärbar sind. Hier geht es eher darum, wohlwollende Berichterstattung zu gewährleisten.
Beim ORF wird letzteres über einen „passenden“ Generaldirektor versucht: Roland Weißmann kennt zwar das Unternehmen und Teile der Medienwelt. Es ist aber bezeichnend, wie eng er mit Türkisen verwoben ist – und dass er kein Medienmanager mit internationalem Ruf ist.
Zweitens: Die alte Politik, die Sebastian Kurz fortsetzt, unterscheidet sich von früherer. Sie ist so gesehen sogar schlimmer geworden. Zum einen gab es in der Vergangenheit wenigstens immer wieder ein rot-schwarzes Gleichgewicht. Jetzt greift Türkis allein zu. Zum andern dienten SPÖ und ÖVP einst auch der Partei, wenn sie Posten besetzten. Jetzt geht es ausschließlich um die Sache Kurz. Seine Partei ist nur auf ihn ausgerichtet, er ist sie.
Von der Papierform her könnte all das gefährlich entlarvend sein für Sebastian Kurz. Ist es aber nicht: Er hat weiterhin Helfer und keine Gegenbewegung zu befürchten. Helfer sind die Grüne: Wie sie ihre Flüchtlingspolitik opferten, um regieren zu können; und wie sie zuletzt ihre Kontrollfunktion im Sinne von Kurz aufgaben (Stichwort „Nicht-Fortsetzung des Ibiza-U-Ausschusses), um weiter regieren zu können, so stärken sie nun beim ORF auch noch diese Steinzeit-Machtpolitik, um ebenfalls ein bisschen Einfluss nehmen zu können (laut Ö1-Mittagsjournal auf die Bestellung von zwei Direktoren).
Viele macht das sprachlos: „Jetzt auch noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk!“, schreibt der Schriftsteller Robert Menasse auf „Facebook“: „LIEBER WERNER KOGLER! UNTERWERFUNG IST HÄSSLICH!“ Unterzeichner: Monika Helfer, Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier, Doron Rabinovici, Robert Schindel.
Insofern hat Sebastian Kurz nichts zu befürchten. Zumal auch sonst eben keine Gegenbewegung erkennbar ist, die ihm gefährlich werden könnte. Sozialdemokraten nützen lieber ihre Einflussmöglichkeiten auf die Bestellung der ORF-Landesdirektoren von Wien, Kärnten und dem Burgenland, die sie über die dortigen Landeshauptmänner haben, als die große Chance zu nützen, die hier schon beschrieben war: Die SPÖ hätte neue Politik zeigen und Kurz wirklich alt ausschauen lassen können.
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