ORF: Zeit aufzustehen

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ANALYSE. Gerade weil die ÖVP so hemmungslos agiert im Hinblick auf die Bestellung einer neuen Führung, ist die Zurückhaltung übriger Parteien so verwerflich. Besonders Sozialdemokraten würden sogar eine Riesenchance vorfinden.

Von „Entparteipolitisierung“ haben Wolfgang Schüssel und Andreas Khol einst im Rahmen einer ORF-Reform gesprochen: Nicht mehr Parteifunktionäre und -mitarbeiter sollten im Stiftungsrat sitzen, wo maßgebliche Entscheidungen fallen, sondern Leute, die de facto zwar von Parteien bestellt, aber unabhängig von diesen wirken. Die Praxis schaut freilich folgendermaßen aus: Die türkisen Stiftungsräte, die eine Mehrheit bilden und damit am 10. August auch den nächsten Generaldirektor, die nächste Generaldirektorin des zu einem beträchtlichen Teil gebührenfinanzierten Senders wählen könnten, zogen sich laut einem Bericht der Tageszeitung „Der Standard“ Anfang Juli zu einem Treffen in die Zentrales des ÖVP-Wirtschaftsbundes in Wien-Wieden zurück. Bei ihnen gewesen sei – neben dem möglichen Alexander Wrabetz-Gegenkandidaten Roland Weißmann niemand geringerer als der Medienbeauftragte und langjährige Vertraute des Kanzlers, Gerald Fleischmann. Sprich: Sie haben sich nicht einmal mehr darum gekümmert, einen gewissen Anschein zu wahren. Im Grunde genommen hätten sie sich gleich im Büro von Sebastian Kurz zusammensetzen können – am Ballhausplatz oder in der Lichtenfelsgasse, wo das Parteisekretariat angesiedelt ist.

Man mag sich gar nicht ausmalen, was im Hinblick auf diesen 10. August noch alles läuft. Immerhin geht es hier darum, über welche Direktorin, welchen Direktor des ORF politische Repräsentanten maximale Macht sicherstellen können. Für Alexander Wrabetz, der mit Amtsantritt 2007 seine SPÖ-Mitgliedschaft ruhend gestellt hat, ist es nicht ganz einfach, sich zu halten. Er muss den einen oder anderen Stiftungsrat, der mit der rechten Hand des Kanzlers im ÖVP-Wirtschaftsbund verbunden war, für sich gewinnen. Möglich wäre das zum Beispiel über die Wahl geeigneter Landesdirektoren: Bei ihrer Bestellung müssen laut ORF-Gesetz auch die Länder, also die Landeshauptleute, eingebunden werden. Könnte hier ein Deal zustandekommen, ist die Stimme des Stiftungsrates eines trükisen Landes vielleicht möglich.

Man merkt, dass hier sehr üblen Machenschaften Tür und Tor geöffnet sind: Ein ORF-Generaldirektor, eine ORF-Generaldirektorin braucht mehr denn je das Wohlwollen nur einer Partei, ja nur eines Mannes – der ÖVP bzw. Sebastian Kurz. Umgehen kann er/sie das allenfalls, wenn er/sie türkise Stiftungsräte für sich gewinnt, indem er/sie sich etwa mit einem Landeshauptmann auf einen Landesdirektor verständigt, der dem Landeshauptmann gefällt. Auf schlecht Österreichisch wird das wiederum eher jemand sein, der Hofberichterstattung liefert.

Es ist bemerkenswert, wie schweigsam nicht-türkise Stiftungsräte in diesen Wochen sind. Damit setzen sie sich dem Vorwurf aus, ein Spiel zu dulden, das demokratiepolitisch verwerflich ist. Grüne sind das gewohnt, sie haben leidvoll erfahren, was es bedeutet, auch in der Medienpolitik das „Beste“ aus der ÖVP-Welt zuzulassen bzw. beschränkt sich ihr Aufstehen gegen dieses Prinzip auf andere Bereiche und andere Personen – Verkehr bzw. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler etwa oder Justiz bzw. Ressortchefin Alma Zadic. In der Medienpolitik leisten sich Grüne keine Stimme. Wäre Dankbarkeit eine Kategorie, müsste sich die ÖVP erkenntlich zeigen dafür.

Wirkungsvoll aufstehen könnten Sozialdemokraten: Im Grunde genommen kann es ihnen egal sein, ob Wrabetz bleibt oder nicht, versucht sich dieser doch ohnehin mit Türkisen zu arrangieren und haben eben Türkise im Stiftungsrat das Sagen. Auch unabhängig von ihren Vertretern in diesem Gremium könnte die SPÖ aber Größe demonstrieren und zeigen, ob sie in der Lage ist, zeitgemäße (Medien-)Politik zu praktizieren.

Das könnte bedeuten, öffentlichkeitswirksam ein Anforderungsprofil für die künftige ORF-Führung zu definieren – mit Sicherstellung journalistischer Qualität und solchen Dingen. Bei der Gelegenheit könnte man die ÖVP auffordern, klarzustellen, wie sie das jetzt wirklich meint mit neuem Stil, unabhängigen Medien und so weiter. Vor allem aber könnten Sozialdemokraten über ihre Landeshauptleute in Wien, Kärnten und dem Burgenland demonstrieren, dass sie keinen Wert darauf legen, Landesdirektoren zu bestimmen, sondern ausschließlich darauf, dass hier kompetente Leute zum Zug kommen, die bestmögliches Programm für die Allgemeinheit gewährleisten können (und vielleicht auch für eine eigene Meinung bekannt sind).

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