Zurück bei türkiser Hemmungslosigkeit

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ANALYSE. Auch nach dem Anschlag geht es nach einer kurzen Unterbrechung wieder um schlichte Parteipolitik.

Nahelegend wäre es ja, Parteipolitik in einer Jahrhundertpandemie hintanzustellen. Nicht aber in Österreich: Hier mag die ÖVP selbst dann weiter daran festhalten. Beispiel 1: Angeblich hat nur das „rote Wien“ Fehler gemacht; dabei steht es heute weniger schlecht da als andere Bundesländer. Beispiel 2: Verfassungsdienst-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) macht allein Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verantwortlich für die Qualität von Verordnungstexten; dabei könnte, ja müsste sie helfen. Beispiel 3: Rote Landeshauptleute werden aus Prinzip nach türkisen über neue Maßnahmen informiert; das war vor zwei Wochen und nun auch beim Lockdown so.

Doch Schluss mit diesen Wiederholungen. Es gibt schon das Nächste, zumindest ebenso Schlimme. Die Rede ist vom Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am Montagabend. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz fand tags darauf wichtige Worte, wie hier ausgeführt wurde. Er stellte sinngemäß fest, dass alle Menschen in Österreich in einem Boot sitzen. Christen sind genauso Opfer wie Gegner dieses bewaffneten Kampfes wie ausdrücklich Muslime etwa.

Der Kanzler war da leider nur für einen Moment Kanzler. Wenig später kehrte er zu diffusen Begriffen wie „politischem Islam“ zurück, gegen den man nun vorgehen müsse. Was heißt das? Alles und nichts. Wie es verwendet wird, meint es nicht nur Terrorismus. Dafür wäre etwa Jihadismus ein mögliches Wort. Warum aber verwendet es der Kanzler nicht? Ist es zu kompliziert zum Kampagnisieren? Dann vielleicht „islamistischer Terrorismus“?

Nein, es muss „politischer Islam“ sein und das trifft sehr viele Muslime: So wie es auch politische Christen oder Katholiken gibt. Bei der Caritas die Leute zum Beispiel, die sich öffentlich zur Flüchtlingspolitik äußern. Oder die christliche Soziallehre, bei der es Vertreter gibt, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern. Schon klar: Das ist (inhaltlich) eine vollkommen andere Ebene. Umso durchschaubarer aber ist es, dass bei Muslimen nicht mit halbwegs präzisen Begriffen gearbeitet wird.

Das lässt erahnen, was in den nächsten Wochen und Monaten droht. Und überhaupt: Türkise Regierungsmitglieder haben in der Vergangenheit insofern alles richtig gemacht, als ihnen nicht angelastet werden, dass es zu diesem Anschlag kommen konnte. So die türkise Erzählung. Die grüne Justizministerin hat Handlungsbedarf, erklärt Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der jetzt zwar nicht mit dem Finger auf andere zeigen möchte, in diesem Fall aber glaubt, nicht anders zu können: Alma Zadic ist gefordert. „Der Terrorist hat es geschafft, die Justiz zu täuschen“ (und so zu einer vorzeitigen Haftentlassung zu kommen), so Nehammer. Das heißt im Umkehrschluss: Allein die Justiz hätte sehr vieles verhindern können.

„Wir haben alles richtig gemacht“, ist ein türkiser Stehsatz, der überall einsetzbar ist. Im konkreten Fall aber liefert ein journalistischer Rechercheverbund von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ umgehend eine Darstellung, die Zweifel daran aufkommen lässt: Im Sommer habe der 20-jährige Attentäter in der Slowakei versucht, Munition zu kaufen. Österreichischen Sicherheitsbehörden, die Nehammer unterstellt sind, sei dies bekannt gewesen. Das würden zwei Quellen bestätigen: „Weshalb anschließend nichts unternommen wurde, ist unklar.“

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