Wie die ÖVP untergeht

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ANALYSE. Karl Nehammer ist bei seinen Signalen für einen Neustart zu zögerlich geworden. Das rächt sich: Was kommt, bleibt auch an ihm hängen.

Man sollte mitschreiben. Ein Tagebuch führen oder sonst irgendwie festhalten, womit die Bundes-ÖVP Schlagzeilen macht. Es handelt sich möglicherweise um Zeitgeschichte, jedenfalls aber eine Entwicklung, in der unheimlich viel zum Ausdruck kommt: Wer zu lange (mit einer minimalen Unterbrechung über 35 Jahre) an Hebeln der Macht ist, läuft Gefahr, diese zu sehr zu missbrauchen. Da und dort wird eine vertraute Person mit einer wichtigen Funktion bedacht, irgendwann verliert man alle Hemmungen, schert sich, umgeben von abhängigen Leuten, gar nichts mehr.

Das ist das Bild, das die Chats ergeben, die gerade auf der Seite zackzack.at veröffentlicht worden sind. Rollen spielen darin Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und etwa der nunmehrige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Es geht um Postenbesetzungen. In anderen Chats, die Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Fall gebracht haben, ging es bekanntlich ebenfalls darum: Das gehörte zu dem, was den Abschied von Kurz notwendig gemacht hat. Nicht unschöne oder auch erbärmliche Ausdrucksweisen.

Die Tageszeitung „Die Presse“ hat soeben aus Studien zitiert, die wohl als Teil des Projekts Ballhausplatz im Sinne von Sebastian Kurz über das Finanzministerium abgewickelt wurden. In einer Umfrage versuchte man herauszufinden, welches Tier die Menschen mit Kurz assoziieren. Ergebnis: Am ehesten ein Delfin oder ein Eichhörnchen. Sie schmunzeln? Vergessen Sie nicht: Wenig, aber doch haben auch Sie dafür bezahlen müssen.

Diese Geschichte leitet über zu Karl Nehammer: Im Dezember übernahm er ÖVP und Kanzleramt und schien sich bewusst zu sein, dass er mit der Vergangenheit brechen muss, damit es eine Zukunft mit Macht für ihn und seine Parteifreunde geben kann, die über den nächsten Wahltag hinausgeht. Ein paar Leute aus dem Kurz-Umfeld mussten in den Hintergrund treten. Nehammer versprach Transparenz. Das ist das wirkungsvollste Mittel gegen Machtmissbrauch und Korruption. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) präsentierte vor Weihnachten einen Untersuchungsbericht, der offenlegte, wie unter anderem unter seinem Vorgänger Gernot Blümel (ÖVP) freihändig Aufträge zugunsten einer Zeitung bzw. für entsprechende Berichterstattung vergeben wurden. Bezahlt mit Steuergeld. Diese Aufarbeitung klang vielversprechend.

Allein: Nehammer ist nicht weit genug gegangen. Er beließ sehr viele Kurz-Leute in Amt und Würden. Er sorgte für erste Ernüchterungen im Hinblick auf Transparenz: Mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses wird’s eher nichts. Bzw. wenn, dann droht eine Informationsfreiheit mit so vielen Ausnahmen, dass im besten Fall alles beim Alten bliebt. Bei den Inseraten teilte die beauftragte Ministerin Susanne Raab (ÖVP) wiederum nichts mit bzw. lediglich, dass sie erst einen Prozess starten muss. Ein Schelm wer ein Spiel auf Zeit bzw. Widerstände aus den Ländern dahinter vermutetet, die – wie hier für Vorarlberg dokumentiert – ja großzügig auch in Medien der eigenen Parteifamilie inserieren lassen.

Schlimmer: Nahmmer sorgt nicht einmal dafür, dass Brunner nun auch die erwähnten Studien veröffentlichen lässt, die über das Finanzministerium abgewickelt und mit Steuergeld finanziert worden sind. „Falter“-Chefredakteur hat auf Twitter die wortreiche Absage präsentiert.

Thread!

Wir wollen von Magnus Brunner die Beinschab-Studien. Denn es geht das Gerücht, dass sie ziemlich peinlich sind (Scheinstudien zwecks Parteienfinanzierung?) und dabei unser Steuergeld verschwendet wurde. Brunner aber gibt sie nicht heraus. Und hier ist seine Begründung pic.twitter.com/dYUBWq7dS9

— Florian Klenk (@florianklenk) January 19, 2022

Auch 2022 wird ein Jahr, in dem Sebastian Kurz innenpolitisch bestimmend ist. Über den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu all den Causen, in denen er eine Rolle hat; und über weitere Chats, die längst bereitliegen und nur noch darauf warten, in den kommenden Wochen und Monaten publiziert zu werden. All das wird die Aufmerksamkeit auf schwarz-türkise Machtausübung in der jüngeren und weiter zurückliegenden Vergangenheit stärken. Problem von Nehammer und damit auch „seiner“, der heutigen ÖVP: Sie haben damit nicht gebrochen, also geht es darüber hinaus um die Gegenwart (z.B. um die laut Ö1-Morgenjournal vom 8. Jänner „fragwürdigen (Stellen-)Ausschreibungen“ im Verteidigungsministerium) – also wird alles auch an ihnen hängen bleiben.

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