ANALYSE. … steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch SPÖ und ÖVP noch weiter nach rechts rücken. NEOS und viel mehr noch die Grünen könnten davon profitieren.
Der Christdemokrat Reinhold Mitterlehner täte gut daran, vor der Bundespräsidenten-Stichwahl am Sonntag noch schnell eine Bittprozession zu organisieren: Nachdem er sich in der Tiroler Tageszeitung als Sympathisant von Alexander Van der Bellen geoutet hat, sollte dieser auch gewinnen. Sonst sind seine Tage an der ÖVP-Spitze gezählt: In seinen eigenen Reihen würden zu wichtige Leute auf der anderen Seite, nämlich der des Siegers Norbert Hofer stehen. Allen voran Klubobmann Reinhold Lopatka, vor allem aber auch die Niederösterreicher um Erwin Pröll und damit nicht zuletzt wohl auch Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz. Der Hoffnungsträger so vieler aus der Partei ist längst dazu übergegangen, eine ebenso restriktive Asyl- und Migrationspolitik wie Hofers FPÖ zu verfolgen, nur halt mit einem freundlicheren Antlitz.
Wird Norbert Gerwald Hofer Bundespräsident, würden sich jedenfalls die Freiheitlichen gestärkt fühlen. An die 35 Prozent, die sie derzeit in Sonntagsfragen halten, wären ihnen aus heutiger Sicht bei Nationalratswahlen wohl gewiss. Und das wäre für eine entscheidende Mehrheit in der ÖVP ein unmissverständliches Zeichen: „Die Große Koalition, für die Mitterlehner steht, ist unser Ende. Wollen wir noch irgendeine Chance haben, müssen wir es mit den Freiheitlichen versuchen.“
Ziehen SPÖ und ÖVP nach rechts zu den Freiheitlichen, hat das eine logische Konsequenz: Links und ein bisschen auch in der Mitte bleibt mehr Platz.
Bei den Sozialdemokraten hat Parteichef Christian Kern gewissermaßen schon reagiert: Weil er es nicht schafft, ehemalige Anhänger von der FPÖ zurückzugewinnen, reißt er die Mauer, die seiner Ansicht nach offenbar im Weg steht, ab. „Ganz normal miteinander reden“, lautet die Devise, die er seit seinem „Klartext“ auf Ö1 mit Heinz-Christian Strache am vergangenen Mittwoch verfolgt. Wer weiß: Vielleicht tut sich einmal eine weitere Möglichkeit zur Zusammenarbeit auf? Es muss ja nicht gleich eine Koalition sein. Klar ist aber, dass Kern eine neue Form des Umgangs mit den Freiheitlichen sucht, nachdem die bisherige Methode diese nicht bremsen konnte; insofern würde ein Hofer-Triumph nicht mehr viel ändern. Er würde die rot-blauen Annäherungen allenfalls beschleunigen, zumal er ganz besonders den Genossen in den Wiener Flächenbezirken, dem einen oder anderen Gewerkschafter oder Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) ohnehin schon nicht schnell genug gehen kann.
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Ziehen SPÖ und ÖVP nach rechts zu den Freiheitlichen, hat das eine logische Konsequenz: Links und ein bisschen auch in der Mitte bleibt mehr Platz. Davon profitieren können ein Stück weit die NEOS, vor allem aber die Grünen: Sie bekommen quasi ein Monopol geschenkt für das linke Lager. Und das könnte sie immerhin näher an die 20 Prozent heranführen. Dafür sprechen vergleichbare Entwicklungen im Kleinen: Vor allem in urbanen Gebieten, wo es weniger Protestwähler gibt und die Sozialdemokraten keine modernen Angebote zusammenbringen, ist sehr viel drinnen für sie. Beispiele: In Wiener Innenstadtbezirken, in Innsbruck oder im Vorarlberger Rheintal; dort haben sie es bei einzelnen Urnengängen (EU-Wahlen, Bezirksvertretungswahlen) bereits auf Platz eins geschafft.
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