Was Kurz von Türkis-Grün hätte

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ANALYSE. Drehen wir den Spieß einmal um. Es gibt ja nicht nur Gründe gegen diese Koalitionsvariante. Im Gegenteil.

Gründe gegen eine türkis-grüne Koalition gibt es viele. Und sie sind nicht nur zahlreich, sondern auch so schwerwiegend, dass eine solche Konstellation schwer bis unmöglich erscheint. Die Verhältnisse sind jedoch vielschichtig – und es gibt natürlich auch Gründe für Türkis-Grün. Und zwar mehrere.

Zunächst aber noch schier erschlagende Gründe gegen Türkis-Grün: Die beiden Parteien haben bisher sehr unterschiedliche Weltbilder verkörpert. Siehe die vertiefende Analyse dazu; die neue ÖVP das Bild des „strengen Vaters“, die Grünen das der „fürsorglichen Eltern“. Nach der Wahl sind die Gegensätze zudem eher größer geworden: Ein Drittel der ÖVP-Wähler hat 2017 oder 2013 die FPÖ, das BZÖ oder das Team Stronach gewählt. Für sie sind die Grünen wohl eher undenkbare Bündnispartner. Und ohne sie hätte die ÖVP einen Stimmenanteil von gerade einmal 25 Prozent. Umgekehrt dürften sehr wenige Wähler den Grünen ihre Stimme gegeben haben mit dem Ziel, damit auch Sebastian Kurz als Kanzler zu stützen; auch hier wäre die Enttäuschung groß.

Ganz zu schweigen von den inhaltlichen Vorstellungen, die sich über weite Strecken hinweg kaum stärker widersprechen könnten: Kurz hat mehr als einmal gesagt, dass z.B. eine Belastung der Pendler im Waldviertel nicht in Frage kommt. Bei einer „grünen“ Ökologisierung des Steuersystems ließe sich das aber kaum verhindern. Und überhaupt: Die Grünen haben mit der türkis-blauen Mindestsicherungskürzung genauso ein Problem wie mit diesem Umgang mit Asylwerbern.

Und dann ist da noch etwas ganz anderes: Kurz hat bisher fast alles nach seinen Vorstellungen laufen lassen können. In der ÖVP kann er auf bedingungslose Loyalität setzen und mit den Freiheitlichen war die Zusammenarbeit aufgrund der vielen Übereinstimmungen auch recht einfach. Der Typ, der große Debatten führt und Kompromisse sucht, ist der 33-Jährige nicht; bekannt geworden ist davon bisher jedenfalls gar nichts. Er bevorzugt „Message Control“.

Doch kommen wir zur viel spannenderen Fragestellung: Was könnte Kurz von Türkis-Grün haben, auch wenn die Nachteile aus seiner Sicht alles in allem größer sein dürften als die Vorteile?

Zunächst wäre mit Freiheitlichen und Sozialdemokraten zurzeit keine Koalition möglich: Beide liegen benommen in den Seilen. Nur die Grünen stehen da und geben sich auch gesprächsbereit bzw. nur mit ihnen ist eine tragfähige Mehrheit im Nationalrat möglich (mit den Neos wäre dies nicht der Fall).

Die Alternative Minderheitsregierung hat zumindest einen Haken: Es gibt immer das Neuwahl-Risiko. Und die ÖVP ist so schwer verschuldet, dass eine baldige Kampagne auch für sie nicht einfach zu finanzieren wäre.

Kurz ist nach wie vor sehr jung. Will er lange (und erfolgreich) in der Politik bleiben, muss er Kurskorrekturen vornehmen; auch wenn ihm diese Stimmen kosten könnten. Die Kurskorrekturen wären theoretisch auch mit den Neos möglich, praktisch sind sie es aber nur mit den Grünen. Erstens, Wien muss in der Europapolitik wieder näher an Berlin und Paris rücken (bzw. weg von Budapest). Zweitens: Auf Dauer muss auch Kurz die Klimakrise vorrangig behandeln. Die Grünen böten ihm ein gutes Argument dazu: So wie er das mit dem Rauchverbot nur den Freiheitlichen zuliebe gemacht haben will, könnte er das in diesem Fall „nur wegen der Grünen“ praktizieren „müssen“.

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Eine Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 ist nicht in Sicht. Das reduziert auch den selbstauferlegten Druck von Kurz, diesbezüglich ausschließlich Härte zu zeigen. Mit den Grünen könnte er vielmehr pragmatischer im Sinne des Wirtschaftsstandortes werden (Stichwort „Nicht-Abschiebung abgewiesener Asylwerber, die eine Lehre machen“).

In einer türkis-grünen Koalition würden die Maßverhältnisse 2:1 lauten. Inhaltlich und personell bestimmend könnte noch immer die ÖVP sein. Anders ausgedrückt: Sie müsste den Grünen sehr weitreichende Zugeständnisse machen, sich aber bei weitem nicht ganz aufgeben.

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