Strache-Kurz-Rendi-Wagner-Dilemma

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ANALYSE. Die Freiheitlichen bringen besonders den Kanzler, aber auch die SPÖ unter Zugzwang – zu groß ist die Summe der Einzelfälle, zu wenig kann Strache dagegen tun.

Das Interview, das Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der „Kronen Zeitung“ gegeben hatte und das ebendort am Ostersonntag erschien, wirkte, als wolle Kurz einen Schlussstrich ziehen. Die Sache zwischen den Freiheitlichen und den Identitären sollte damit wohl erledigt werden: Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache habe klar gesagt, dass es keine Verbindungen mehr geben dürfe, so Kurz: „Ich bleibe wachsam und werde die FPÖ an ihren Taten messen.“ Nächstes Thema. Von wegen: Die „Wiener Zeitung“ berichtet am Ostermontag von blauen Verstrickungen mit Identitären im oberösterreichischen Linz, die weit zurück reichen würden. Strache selbst hatte zuvor auf Facebook wiederum eine extrem rechte Seite geteilt und ausgerechnet aus Braunau wird das unsägliche Gedicht bekannt, in dem der freiheitliche Vizebürgermeister der Stadt in einem Text Migranten und Flüchtlinge mit Ratten verglich.

Alles? Nein: Die Sache mit diesem Rattentext hat der Autor mit seiner Aussendung noch schlimmer gemacht. Erstens, er bedauerte ihn demnach nur, wenn er jemanden verletzt hat. Einsicht? Null. Zweitens: Es habe nur Veränderungen beschreiben wollen, die andere durchaus zu Recht kritisieren würden. Und so weiter und so fort. Zu seinem Rücktritt kam es erst mit Verspätung. Und im Übrigen ist damit gar nichts erledigt.

Regionalangelegenheit ist ein anderes Wort für Einzelfälle.

Heinz-Christian Strache mag von einer Regionalangelegenheit sprechen. Was wohl ein anderes Wort für Einzelfälle ist. Man kennt sie. Das Mauthausen-Komitee kommt auf seiner Website schon lange nicht mehr nach, sie aufzulisten.

Das Problem ist, dass es hier um einen untragbaren Zustand einer Regierungspartei geht. Und dass der Vizekanzler als Parteichef höchstpersönlich Verantwortung trägt: Deutschnationale Burschenschafter hat er in den freiheitlichen Reihen groß aufkommen lassen. Identitäre hat er vor gar nicht allzu langer Zeit noch selbst gelobt. Stimmung gegen Fremde machen ist darüber hinaus die Geschäftsgrundlage, von der er lebt; sie hat ihm hunderttausende Wähler gebracht.

Strache könnte zusammenpacken. Also wird er sich weiter zurückhalten. 

Selbstverschuldet findet sich Strache in einer ziemlich schwierigen Situation wieder: In seinem Umfeld hat sich sehr viel verselbstständigt, was er selbst ausgelöst hat. Unsägliches ist alltäglich geworden, weil es der Chef mit Grenzziehungen ja sowieso nie hatte.

Was kann der Vizekanzler und Parteichef da noch tun? Angenommen, er würde jetzt aber wirklich Konsequenzen ziehen und alles anders machen, hätte er einen wesentlichen Teil seiner Anhänger auch schon verloren; und ob er es schaffen würde, stattdessen andere zu gewinnen, ist mehr als zweifelhaft. Sprich: Er könnte zusammenpacken. Also wird er sich weiter zurückhalten.

Im Zweifelsfall sind bisher beide Augen zugedrückt worden. Das rächt sich nun.

Umso mehr gefordert sind die politischen Mitbewerber: Kurz ist im Zusammenhang mit den Identitären erstmals deutlicher geworden. Wobei er möglicherweise nicht bedacht hat, wie sehr er von den Freiheitlichen mit weiteren Regional- und Einzelfällen unter Zugzwang gesetzt wird. Der Druck auf ihn, seinen Worten Taten folgen zu lassen, weil die Worte eben nichts bringen, steigt enorm.

Die Sozialdemokraten haben keinen Grund, schadenfroh zu sein. Gerade in Linz stehen sie mit rechts extrem Verstrickten in einer Koalition. Wobei der Versuch von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, darauf hinzuweisen, dass das eine ganz andere Ebene sei als die Bundesebene, eher nur verharmlosend klingt, sie selbst aber jedenfalls schwächt in ihrer Kurz- und Strache-Kritik.

Am Ende werden ÖVP und SPÖ von der Geschichte eingeholt: Wie Strache mit den erwähnten Kreisen, haben sie ein zumindest schlampiges Verhältnis zu den Freiheitlichen. Im Zweifelsfall sind bisher beide Augen zugedrückt worden. Das rächt sich nun.

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