Ukraine: Unbeteiligte SPÖ

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ANALYSE. Pamela Rendi-Wagner wollte gerade durchstarten, da kam die Sache mit der Selenskyj-Rede dazwischen. Eine bezeichnende Selbstbeschädigung.

Der Termin steht: Am Sonntag, 27. März, wird SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in der Aula der Wissenschaften in Wien ab zehn Uhr vormittags eine Grundsatzrede halten: „Ein Land. Eine gemeinsame Zukunft.“ Einiges hätte gepasst: Die Koalition zeigt nicht zuletzt durch ihren Umgang mit der Pandemie, dass sie fertig ist. Europa befindet sich im Umbruch, auch auf nationaler Ebene warten enorme Herausforderungen darauf, bewältigt zu werden: die menschenwürdige Unterbringung tausender Flüchtlinge, eine Neuausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, steigende Energie- und Lebensmittelpreise, eine Wirtschaftsflaute oder gar -Krise, der Klimawandel etc. Mit einem Satz: Politische Antworten könnten nicht schaden; besser wäre sogar ein neues Angebot, die Dinge anzugehen.

Allein: Als der Termin für die Grundsatzrede längst veröffentlicht war, brach zumindest in sozialen Medien ein Tsunami über Rendi-Wagner herein. „Bin wahrscheinlich nicht die Einzige, die gerne von der SPÖ-Vorsitzenden eine Begründung für die seltsame Positionierung zum Auftritt Selenskyjs im Nationalrat hören möchte“, twitterte etwa Ex-Justizministerin Maria Berger, eine Sozialdemokratin. Ein ORF-Redakteur antwortete ihr, man habe vergeblich versucht, eine Stellungnahme von Rendi-Wagner zu erhalten. Ein ehemaliger Gewerkschafter kündigte gegenüber dieSubstanz.at wiederum an, nach über 50 Jahren aus der Partei auszutreten.

Bin wahrscheinlich nicht die Einzige, die gerne von der SPÖ Vorsitzenden eine Begründung für die seltsame Positionierung zum Auftritt Selenskyjs im Nationalrat hören möchte @rendiwagner

— mmberger (@mmberger3) March 22, 2022

Geschehen war dies: In der Präsidiale des Parlaments wurde am 22. März darüber gesprochen, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu den Abgeordneten sprechen zu lassen. In vielen Ländern ist das schon passiert. Der deutsche „Spiegel“ fasste das Ergebnis der Beratungen folgendermaßen zusammen: „Nicht neutral genug – Österreich will Selenskyj nicht im Parlament sprechen lassen.“ SPÖ und FPÖ hätten dies abgelehnt.

Bei den Freiheitlichen, die lange Zeit beste Beziehungen zu Wladimir Putin und seiner Partei gepflegt haben, überrascht das nicht. Aber bei den Sozialdemokraten: Was ging hier vor? Unverzeihlich und verhängnisvoll für sie ist, dass sie stundenlang keine Antwort lieferten; dass sich ebenso lange Unverständnis für und Empörung über sie steigern konnten – zumal es auch in ihrer Klientel eine erhebliche Solidarität mit Selenskyj gibt, der gegenüber einem erbarmungslosen Aggressor etwas Gutes verteidigt. Wie kann man da nicht dafür sein, ihm zumindest Verbundenheit dadurch zu zeigen, dass man ihn zu sich sprachen lässt?

Rendi-Wagner schwieg. Zur Erinnerung: Sie ist nicht nur Vorsitzende, sondern auch außenpolitische Sprecherin der SPÖ. Erst am Folgetag teilte Klub-Vizeobmann Jörg Leichtfried in einer Aussendung mit, dass man nicht gegen die Rede gewesen sei, man aber darauf hingewiesen habe, „dass Österreichs neutraler Status berücksichtigt werden müsse“ – eine Einladung Selenskyjs aber ohnehin Sache von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sei.

These: Damit ist der Schaden für die Sozialdemokratie nicht kleiner geworden. Das selbstverschuldete Problem bleibt: Sie übt sich in einer Phase der Geschichte, die für ganz Europa, also auch für Österreich, von Bedeutung ist, als Unbeteiligte. Und zwar unter Verweis auf eine Neutralität, die real kaum noch existiert und die in der gegenwärtigen Fragestellung von begrenzter Bedeutung ist.

Das Ganze ist bezeichnend: Wer immer Pamela Rendi-Wagner berät, ihm ist die Welt außerhalb der Löwelstraße vollkommen egal. Gestalten? Wozu. Das Kalkül ist, dass die ÖVP bei einer baldigen Neuwahl abstürzt und man selbst auf Platz eins landet, sofern man nur nichts riskiert. Heißt: Sofern man keinen Vorschlag dazu macht, wie Österreich Solidarität mit der Ukraine ernsthaft praktizieren könnte; wie man sich Putin wirkungsvoll entgegenstellen könnte, ohne Kriegspartei zu werden.

Das interessiert die SPÖ genauso wenig wie die ÖVP: Ein Gaslieferstopp kommt nicht in Frage. Schon jetzt geht es der Partei ausschließlich darum, steigende Energiepreise abzufedern. Morgen wird sie dasselbe für Lebensmittelpreise fordern: Teuerungsausgleich, Teuerungsausgleich, Teuerungsausgleich. Selbstverständlich: Für sehr viele Menschen ist das wichtig. Es wäre aber auch wichtig, sich zu überlegen, was man zu einer Beendigung des Ukraine-Krieges beitragen könnte.

Oder, wenn man schon bei den Preisen bleiben möchte: Wo sind sozialdemokratische Vorschläge für eine beschleunigte Energiewende, die letzten Endes ohnehin notwendig wäre zur Bekämpfung der Klimakrise? Es gibt sie nicht. Es geht eher nur darum, dass Sprit für alle erschwinglich bleibt. Da ist kein Platz für Selenskyj.

Allerdings: Diese Strategie ist hochriskant. Der Sturm der Entrüstung um diese vorerst nicht zustande kommende Rede trifft die SPÖ so sehr, dass offen ist, ob ihr ein allfälliger ÖVP-Absturz bei einer Neuwahl genügen würde, um automatisch auf Platz eins zu kommen.

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