ANALYSE. In Wien zeigt sich das ganze Dilemma der Sozialdemokratie: Sie verliert links und rechts Wähler.
Ernst Nevrivy, sozialdemokratischer Bezirksvorsteher der Wiener Donaustadt, hat ganz offensichtlich etwas übersehen: Gegenüber der „Presse“ führte er das SPÖ-Debakel in der Leopoldstadt auf einen zu linken Kurs zurück, der sich seines Erachtens dadurch äußert, dass man den ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen bei der Präsidentschaftswahl unterstützt und im Übrigen zu freundlich mit Flüchtlingen umspringt. Hätten die Genossen die Führung über den 2. Bezirk an die Freiheitlichen verloren, hätte man Nevrivy vielleicht etwas erwidern können. So aber bleibt nur Kopfschütteln: Erstens, die dortige SPÖ unter Karlheinz Hora hat einen strammen pro Autofahrer-Wahlkampf geführt und etwa wissen lassen, dass die Leopoldstadt eine „Transitverpflichtung“ habe, was auch gegen eine Verkehrsberuhigung der Praterstraße spreche. Und überhaupt: Gewonnen haben nicht die Freiheitlichen, sondern die Grünen. Wenn, dann waren die Sozialdemokraten vielen Wählern also eher zu wenig links als zu wenig rechts.
Womit das Dilemma der Partei sehr deutlich zum Ausdruck kommt: In Wien gibt es parteipolitisch gesehen eine bekanntere und eine neuere Entwicklung. Zum einen gibt es da die großen Flächenbezirke, in denen die Freiheitlichen groß im Kommen sind und den Sozialdemokraten tausende Wähler abziehen. Zum anderen gibt es aber die Innenstadtbezirke, in denen die Freiheitlichen ihre besten Zeiten (die 1990er Jahre) bereits hinter sich haben und die Grünen auf Kosten der Sozialdemokraten wachsen. Ersteres zeigt sich etwa in Simmering, letzteres in der Leopoldstadt (siehe Grafik).
Also sind viele von vornherein halbe Grüne – und keine Nevrivy-Sozialdemokraten, geschweige denn Strache-Freiheitliche.
Zurückzuführen ist das nicht etwa auf Ausländer, wie Leute wie Nevrivy glauben, sondern auf eine gesellschaftliche Spaltung: Wie Wahlanalysen zeigen, wählen Leute, die für sich und das Land schwarz sehen, eher blau. Und Leute, die zuversichtlich sind, eher grün. Ganz besonders bei den bisherigen Bundespräsidenten-Wahlen ist das so gewesen (Lesetipp: „An den Ausländern liegt es nicht“). Alarmierend für die Sozialdemokraten ist, dass sie sich schwer tun, beide Gruppen anzusprechen.
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Der optimistische Teil der Gesellschaft ist in der Bundeshauptstadt nun einmal eher in den Innenstadtbezirken daheim: Akademiker, Selbstständige, die Karriere machen und gut verdienen oder, sofern sie noch studieren, die Ambition haben, das einmal zu tun. Ein Auto müssen sie nicht haben und alles Fremde finden sie spannend. Also sind viele von vornherein schon einmal halbe Grüne – und keine Nevrivy-Sozialdemokraten, geschweige denn Strache-Freiheitliche.