KOMMENTAR. Verurteilung des Wahlkampfsujets unterstreicht die Krise der Partei nun auch für die Allgemeinheit.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) geben eine gemeinsame Pressekonferenz zu einer „Notsituation“ (Mitterlehner), nämlich dem Zustrom Zehntausender Flüchtlinge nach Österreich. Elektronische Medien berichten live, Zeitungen produzieren Sonderseiten. Und die Grünen werden praktisch zeitgleich durch den Werberat verurteilt; eines ihrer Wahlkampfsujets in Wien sei sexistisch. „Die haben Probleme“, mag man einwenden. Doch die Antwort lautet „ja“ – und diese Probleme wachsen sich nun ausgerechnet zu einer Unzeit für die Partei aus.
Die Ausgangslage für die Landtagswahlen in Wien und Oberösterreich wäre für die Grünen ja ohnehin schon schwierig: Alles dreht und wendet sich um Duelle, an denen sie nicht beteiligt sind. Im einen Fall geht es um Rot -, im anderen um Schwarz gegen Blau. Wobei sich diese Zuspitzung durch das Flüchtlingsdrama noch verschärft: Wer Asylwerber ablehnt und am liebsten wieder Grenzzäune aufziehen würde, hat mehr denn je in den Freiheitlichen ein politisches Angebot. Und wer auf einen humanitären Kurs setzt, zunehmend in der Sozialdemokratie. Ganz besonders in Wien unter ihrem dortigen Vorsitzenden Michael Häupl, der sich als Politiker profiliert, der Menschenrechte, wie jenes auf Schutz vor Krieg und Verfolgung, ganz selbstverständlich auch in einem Wahlkampf hochhält.
Vor gar nicht allzu langer Zeit waren Menschenrechte ja noch ein Thema, das vor allem mit den Grünen in Verbindung gebracht wurde. Heute ist das anders. Was sich die Grünen auch selbst zuzuschreiben haben: Im Spätsommer 2015, der ganz im Zeichen der Flüchtlinge steht, widmen sie sich in ihrer Wien-Wahl-Kampagne der Bildung, der Geschlechtergerechtigkeit und dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
Um nicht missverstanden zu werden: In jedem einzelnen dieser drei Bereiche gibt es mehr als genug Handlungsbedarf. Aber jetzt geht es um das Leben der Menschen, die aus dem Nahen Osten zu uns kommen. Darum muss sich die Politik kümmern. Und um nichts anderes.
Immerhin nehmen sich die Grünen bei ihrer Themensetzung allerdings selbst nicht ernst. Sie versuchen jedenfalls zu blödeln: Auf dem „Öffi“-Plakat ist der fröhliche Nationalratsabgeordnete Julian Schmid zu sehen. Man kennt ihn weniger als Politiker, denn als Model, das Badehosenfotos von sich postet und im Hohen Haus mit Kapuzenpulli auftritt. Sein Gesicht auf dem Plakat ist mit Kussmündern übersät. „Ich bin Öffi für alles“, steht darunter. Womit das Sujet laut Werbe-Watchgroup, einer Art Presserat der Werbebranche, als sexistisch einzustufen ist.
Das kommt einer Ohrfeige für Eva Glawischnig, Maria Vassilakou und Co. gleich. Gerade sie müssen sich mit dem Vorwurf, sexistisch zu sein, herumschlagen! Sie beschädigen damit nicht nur ihren Ruf als die Gender-Partei, den sie über Jahre aufgebaut haben. Sie nehmen sich damit vor allem auch aus der Wahlauseinandersetzung, die sich einzig und allein um den Umgang mit dem gegenwärtigen Ausnahmezustand dreht, in dem sich die Republik befindet.
PS: Dass sich sehr viele Grünen-Funktionäre in der Flüchtlingshilfe engagieren, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil: Das Bewusstsein der Parteispitze für das Problem müsste umso größer sein.