ANALYSE. Was die Rücktritte von Kern und Strolz sowie die Probleme der Grünen gemeinsam haben.
Christian Kern ist vor bald zweieinhalb Jahren in die Innenpolitik gegangen, um als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender in baldige Neuwahlen zu ziehen und dann gestärkt eine Erneuerung durchzuführen, wie er sie in Plan A skizziert hat. Die Möglichkeit dazu ist ihm bekanntlich verwehrt geblieben. Das hat er zum einen selbst verbockt; zum anderen ist ihm der schier unschlagbare Sebastian Kurz (ÖVP) dazwischengekommen. Und wenn er – wie viele seiner Anhänger – nach Bildung der schwarz-blauen Koalition im Dezember 2017 geglaubt haben sollte, dass diese ohnehin nicht lange halten und es die FPÖ zerreißen werde, dann hat er sich getäuscht. Zehn Jahre könnte die Koalition, sofern sie sich selbst nichts antut, halten. Womit die Geschichte für Kern erledigt ist; seinem Motiv, in die Politik zu gehen, ist die Grundlage entzogen worden.
So gesehen kommt der Rücktritt spät, ist aber konsequent. Seine Mission hat sich nicht erfüllen lassen. Und das hat er jetzt auch hochoffiziell eingestanden.
Das erinnert ein Stück weit an Matthias Strolz: Sein Ziel war es immer, mitzugestalten. Folglich bot er sich auch bei der Nationalratswahl 2017 noch für eine Regierungsbeteiligung an. Und als nichts daraus wurde, bot er sich und seine Partei, die Neos, für größere Reformen bzw. die dazu nötigen Zweidrittelmehrheiten auf parlamentarischer Ebene an. Und als auch daraus nicht wurde, weil ÖVP und FPÖ nicht einmal drauf reagierten, ging er. Sicher, für den Rücktritt mag er weitere, auch persönliche Gründe gehabt haben, dieser eine ist aber logisch: Mit Schwarz-Blau ist die Möglichkeit für andere, politische mitzugestalten, auf sehr wahrscheinlich sehr lange Zeit gestrichen. Und das musste einem Mann wie Strolz eine gewisse Perspektivlosigkeit einhämmern.
Vielleicht ist das ein Weckruf für Schwarz-Blau-Kritiker: Sie sind noch lange nicht fertig, ihr braucht einen langen Atem, sonst geht euch die Luft aus.
Oder einem Mann wie Christian Kern an der SPÖ-Spitze eben. Ihr Abschied ist im besten Fall ein Weckruf für alle, die Schwarz-Blau nicht unterstützen, kritisch sehen oder ablehnen: „Leute, da kann es auf Seiten der Koalitionsparteien noch so viele Einzelfälle, Skandale und was auch immer geben – ihr müsst davon ausgehen, dass sie noch lange nicht fertig sind; ihr braucht einen langen Atem und müsst euch eure Rollen entsprechend neu definieren. Sonst geht auch die Luft aus.“
Wozu soll man die Wiener Grünen, die regieren wollen, wählen, wenn zu erwarten ist, dass sie bald nicht mehr mitregieren werden?
Auf einem ganz anderen Spielfeld, aber in einer ähnlichen Position befinden sich die Grünen bundesweit und vor allem auch in Wien: Sie haben in den vergangenen Jahren versucht, von einer Protest- zu einer Mitgestaltungspartei zu werden. Damit waren sie vor allem in den Ländern eine Zeit lang sogar recht erfolgreich. Bundesweit gibt es, wie erwähnt, auf absehbare Zeit aber keine Mitgestaltungsmöglichkeit. Und auch in Wien schauen die Mehrheitsverhältnisse so aus, dass nach der nächsten Gemeinderatswahl keine solche mehr existiert, weil sich Rot-Grün nicht mehr ausgeht und es für die Grünen keine Alternative dazu gibt. Ja, das ist so offensichtlich, dass es bedrohlich werden könnte für sie: Wozu soll man sie, die regieren wollen, wählen, wenn zu erwarten ist, dass sie bald nicht mehr mitregieren werden?