ÖVP in doppelter Not

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ANALYSE. Mehr denn je rächt sich, dass Nehammer auf eine Neuausrichtung der Partei verzichtet hat: Nach Kickl könnte auch Doskozil bedrohlich werden für sie.

Die gängige Darstellung, Hans Peter Doskozil habe nach seiner Kür zum SPÖ-Vorsitzenden eine Koalition mit FPÖ und ÖVP ausgeschlossen, ist nicht korrekt. Erstens: „Es wird, sollten wir bei der nächsten Nationalratswahl Erste werden, keine Koalition mit der Freiheitlichen Partei geben“, sagte er. Zweitens: Nur wenn man es schaffe, freiheitliche Wähler zurückzugewinnen, gelinge auch ein weiterer Schritt: keine Koalition mit der ÖVP.

Genau genommen lassen diese Formulierungen einiges offen – zum Beispiel, falls die SPÖ nicht Erste wird oder es ihr nicht gelingt, freiheitliche Wähler zurückgewinnen. Auch wenn dann erst recht Türkis-Blau oder Blau-Türkis mit einem Kanzler Kickl wahrscheinlich wäre, gehört das an dieser Stelle festgehalten. Vielleicht wird man irgendwann darauf zurückkommen müssen.

Auch für die ÖVP mag das Wörtliche keine Rolle spielen. Neben den Freiheitlichen von Herbert Kickl drohen ihr nun die Sozialdemokraten von Hans Peter Doskozil gefährlich zu werden. Im schlimmsten Fall wird sie durch die beiden unter 20 Prozent gedrückt. Das ist eine Perspektive, die sie ernstnehmen muss.

Was aber tun? ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker „warnt“ schon vor einer rot-pink-grünen Linkskoalition, die verheerend wäre, um zu betonen, dass eine klare bürgerliche Handschrift einer christlich-sozialen Partei nötig sei, wie sie nur die Volkspartei habe. Damit bestätigt er unfreiwillig, wie schlecht die Karten der ÖVP sind: Vor einer „Ampelkoalition“ warnen, in der zwei Parteien bei unterschiedlichen Positionierungen einer breiten Mitte zuzuordnen sind (Doskozil-Rote und die Pinken) und sich die dritte Partei zwar am ehesten links der Mitte, ausgerechnet aber dank ÖVP schon in Regierungsverantwortung befindet, ist schwach; die Rede ist von den Grünen.

Von einer „christlich-sozialen“ Handschrift in Bezug auf die Volkspartei zu reden, ist freilich noch viel schwächer: Sie hat sich mit Sebastian Kurz 2017 ganz dem Rechtspopulismus verschrieben; Korruptionsaffären inklusive. Damit war sie zunächst auf Kosten der FPÖ recht erfolgreich, hat es unter Karl Nehammer dann jedoch verabsäumt, sich neu auszurichten. Ergebnis: Nehammer hat sich im Laufe der Zeit zwar ebenfalls ganz dem Rechtspopulismus verschrieben, er schafft das aber so wenig überzeugend, dass immer mehr Wähler wieder zur FPÖ zurückkehren.

Die ÖVP rinnt aus. Und durch Doskozil könnte sich das verstärken. Noch als Kurz da war, ist es ihm bei der burgenländischen Landtagswahl gelungen, den Türkisen einen gehörigen Dämpfer zu verpassen und bei den Freiheitlichen, denen damals noch die Ibiza-Affäre zusetzte und die damals noch von Norbert Hofer geführt wurden, groß abzuräumen. Schlussfolgerung: Doskozil kann rechts der Mitte ähnlich erfolgreich sein, wie es Kurz war. Nur dass es heute womöglich weniger für die FPÖ bedrohlich wäre, sondern mehr für die ÖVP.

Die bürgerliche Mitte der Volkspartei ist zu einem wesentlichen Teil längst zu Neos oder Grünen gewechselt, die zusammen konstant rund 20 Prozent halten. Wobei die Grünen in urbanen Gegenden nicht so sehr als Linke, sondern mehr als neue Bürgerliche gelten. Was die türkise ÖVP (z.B. aber auch die niederösterreichische) ausmacht, ist eben Rechtspopulismus, der auf ein ländliches Österreich ausgerichtet ist, in dem Abwanderung herrscht und in dem Menschen leben, die befürchten, dass alles schlechter wird.

Der Wiener Sebastian Kurz hat sich daher gerne diesem Österreich zugeordnet. Einmal hat er, der Meidlinger, sogar behauptet, er komme aus dem Waldviertel. Hans Peter Doskozil muss hier nicht einmal etwas betonen. Er kommt vom Land und verkörpert auch das Gegenteil von Urbanität. Auch das macht ihn für Linke in den eigenen Reihen und vor allem jene aus der Bundeshauptstadt so schwer erträglich. Für die Volkspartei ist er damit aber viel mehr. Es trägt dazu bei, dass sie ihn als politischen Gegner neben Kickl am meisten ernstnehmen muss.

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