Die neue SPÖ

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ANALYSE. Hans Peter Doskozil verengt die Partei inhaltlich und geht auf Distanz zur ÖVP als potenziellem Koalitionspartner. Hinter beidem steckt Kalkül. Die Risiken sind enorm.

Der Pragmatiker der Macht hat sich durchgesetzt und ist auf einem außerordentlichen Bundesparteitag zum SPÖ-Vorsitzenden gewählt worden: Hans Peter Doskozil. Natürlich: Zum vollendeten Pragmatiker der Macht mag fehlen, dass es ihm nicht gelungen ist, offenen Zuspruch durch führende Gewerkschafter zu erhalten und eine Brücke zu Wiener Genossen wie Michael Ludwig und Doris Bures zu schlagen, die ihn klar ablehnen. Insofern ist das relativ.

Zweifel in Bezug auf den Pragmatiker der Macht gibt es abgesehen davon, dass er für eine Zäsur steht: So klar wie er ist noch kein SPÖ-Vorsitzender in der Zweiten Republik auf Distanz zur ÖVP gegangen. Eine Koalition mit dieser will er nicht haben. Nicht wenige finden das dumm. Begründung: Nach der nächsten Nationalratswahl werde sich für die SPÖ am ehesten eine Mehrheit mit der Volkspartei ausgehen. Eher jedenfalls als eine solche mit Neos und Grünen.

In Wirklichkeit dürfte jedoch brutales Kalkül dahinterstehen: Die ÖVP hängt in den Seilen. Wenn es Doskozil gelingt, sie in eine Ecke mit der FPÖ zu treiben, ist sie schwer gefährdet, droht sie zu einer Mittelpartei zu verkommen, die einen ähnlichen Stimmenanteil hat wie Neos und Grüne zusammen (wie gefährlich das Ganze aus ihrer Sicht ist, ist hier näher ausgeführt).

Außerdem tendiert die ÖVP ohnehin zu einer Zusammenarbeit mit der FPÖ – nach Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich letzten Endes auch wieder auf Bundesebene. Hier kann sich eine selbstbewusste Sozialdemokratie durchaus fragen, ob es Sinn macht, noch auf das zu setzen, was lange als Große Koalition bezeichnet worden ist. Doskozil liefert die Antwort: Vergessen wir das!

Widersprüchlich wirkt auch sein Werben um eine rot-pink-grüne „Ampel“ sowie seine inhaltliche Ausrichtung. Das stimmt und stimmt nicht. These: Eine solche geht sich nicht aus, wenn die drei Parteien sehr Ähnliches wollen; dann nehmen sie sich gegenseitig Stimmen weg. Zum Beispiel Sozialdemokraten den Grünen. Insofern ist es erfolgversprechender, wenn sie unterschiedliche Zielgruppen ansprechen und schlussendlich dennoch zusammenfinden. Doch das ist Zukunftsmusik.

Bemerkenswerter ist zunächst, dass sich die SPÖ unter Doskozil inhaltlich verengt. Wenn man seine Parteitagsrede als Maßstab nimmt, dann geht es ausschließlich um vordringliche Lösungen für eine Masse – bei Mietpreisen, in der Gesundheitsversorgung, in der Pflege und in der Migration. Das werde von der Partei des kleinen Mannes erwartet, so Doskozil.

Das ist zu 100 Prozent Kalkül: Die Krise der traditionellen Massenparteien ÖVP und SPÖ ist unter anderem, dass ein Teil der Mittelschicht einen Abstieg wahrnimmt oder befürchtet. Weil es aufgrund steigender Preise immer enger wird, kein zeitnaher Kassenarzttermin mehr zu bekommen ist etc. Doskozil versucht darauf einzugehen. Gerne auch so, dass Sozialpartner unter seinen Genossen empört sind (wegen eines gesetzlichen Mindestlohns oder wegen einer Abschaffung der Selbstverwaltung der Krankenversicherung, wie er sie schon einmal vorgeschlagen hat). Konflikte in den eigenen Reihen nimmt er in Kauf. Letzten Endes geht es ihm allein um einen Wahlerfolg.

Viele Inhalte treten in den Hintergrund, sofern sie überhaupt existieren. Während in Europa ein Krieg tobt und europäische Integration neu gedacht werden sollte, widmete Doskozil alledem kein Wort auf dem Parteitag. Auch sonst ist nichts Wesentliches überliefert dazu von ihm. Genauso wenig wie zu Kunst und Kultur, Bildung, Klimapolitik oder weitreichenden Veränderungen in der Arbeitswelt und darüber hinaus. Da ist kein Versuch, wie jener von Christian Kern, neue Selbstständige zu umwerben. Vielleicht, weil das lauter Themen sind, die unpopulär sind oder nur eine Minderheit tangieren; weil man damit also keine Wahlen gewinnen kann? Auch ein solcher Zugang entspricht einem Pragmatiker der Macht, es ist eine Kehrseite.

Hans Peter Doskozil nimmt viel in Kauf. Es wäre eine Überraschung, würde er Andreas Babler groß einbinden. Das würde ja seinen Zugängen zuwiderlaufen. Babler ist nicht pragmatisch, sondern leidenschaftlich links. Es wäre im Übrigen eine Überraschung, wenn links der Mitte nicht bald neue Parteien und Bewegungen entstehen würden. Zumal die Grünen in ihrer Regierungsarbeit gefangen sind und das Potenzial schon unter Pamela Rendi-Wagner enorm war – wie bis zu sieben Prozent verdeutlichen, die einer KPÖ in Umfragen auf Bundesebene ausgewiesen werden, obwohl sie hier kein einziges bekanntes „Gesicht“ hat.

Die Risiken, die Doskozil eingeht, sind enorm: Selbst wenn es ihm beispielsweise gelingt, ÖVP und FPÖ auf zusammen weniger als 50 Prozent der Mandate zu drücken – wenn daneben Kommunisten oder eine Bierpartei in den Nationalrat kommen, wird sich eine Ampelkoalition unter Garantie nicht ausgehen.

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