Kurz provoziert die Eskalation

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ANALYSE. Der offene Brief an die WKStA ist nicht dazu angetan, die Causa Blümel zu lösen. Es geht um etwas ganz Anderes: Recht soll der Politik folgen. Letzten Endes bis hinauf zum VfGH.

Wenn jemand ein bisschen Erfahrung hat in dem Geschäft, weiß er, wie’s läuft: Soll in einer Streitfrage eine Lösung herauskommen, bemüht man sich zunächst einmal vertraulich darum. Geht’s dagegen nur um Eskalation bzw. darum, das Gegenüber vorzuführen, setzt man auf Öffentlichkeit. Ein Beispiel für letzteres lieferte ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz am Wochenende mit einem Schreiben an die Wirtschafts und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Mit dem Schreiben wird die WKStA desavouiert: Erstens, Kurz hat es eben nicht nur ihr, sondern gleich auch Medien geschickt, deren Aufgabe naturgemäß darin besteht, es unter die Leute zu bringen; auf dass der Eindruck entstehe, er sei konstruktiv und jederzeit bereit, zur Aufklärung beizutragen – was er sinngemäß auch genau so festgehalten hat.

Das ist das eine. Zum anderen lässt Kurz die Staatsanwälte jedoch wissen, dass sie „fehlerhafte Fakten“ gesammelt und „falsche Annahmen“ getroffen hätten. Sprich: Von daher müssten sie eigentlich gar nicht mehr mit ihm reden. Zumal er sie je auch noch wissen lässt, dass ihre Vorgangsweisen „im In- und Ausland zu einem Reputationsschaden für die betroffenen Personen – und auch für die Bundesregierung und damit für die gesamte Republik Österreich“ geführt hätten. Spätestens hier müssten sie wissen, was erwartet wird von ihnen.

Als wäre das nicht genug, betont Kurz, dass er für eine unabhängige Justiz sei und sich „deshalb auch nie öffentlich in ein Verfahren einmischen“ würde. Spruch und Widerspruch gewissermaßen vereint in einem Brief. Wobei es sich unter Garantie um kein Versehen, sondern Methode handelt.

Der ÖVP-Chef hat hier kraft seiner Möglichkeiten als Regierungschef so ziemlich das gezogen, was er als seine stärkste Karte bezeichnen könnte: Er hat wieder einmal Politik über die Bande gespielt; er versucht, die Öffentlichkeit mit ein paar Argumenten, die wirkungsvoll sein könnten, für sich bzw. gegen einen Widersacher einzusetzen. Er bietet sich der Justiz als Helfer an, bringt aber auch über die Rampe, dass sie schlechte Arbeit leiste und angeblich ganz Österreich in den Dreck ziehe („Reputationsschaden für die Republik“).

Das lässt tief blicken und gibt vor allem auch einen Hinweis darauf, dass es keine gute Idee ist, gerade jetzt mit dieser Volkspartei einen Bundesstaatsanwalt einzurichten und „Dissenting Opinion“ für den Verfassungsgerichtshof einzuführen. Unabhängigkeit und Transparenz sind nur Worthülsen für sie, die sie einsetzt, wie es hier gefällt.

Ein weisungsfreier Bundesstaatsanwalt wäre kein Fortschritt, wenn er wegen jeder Aktion, die irgendeiner Partei missfällt, ins Hohe Haus zitiert wird. Oder wenn Staatsanwälte unter dem Deckmantel der Qualitätskontrolle – wie Christina Jilek in der Ibiza-Affäre – andauernd Rechenschaft für ihr Tun ablegen und Berichte schreiben müssen, also gezielt an ihrer Arbeit gehindert werden.

Ein weisungsfreier Bundesstaatsanwalt wäre nur dann ein Fortschritt, wenn zumindest auch auf Regierungsebene politische Kulturpflege im besten Sinne des Wortes betrieben werden würde. Bedeuten würde das beispielsweise aufrichtige Achtung einer unabhängigen Justiz auch dann, wenn es unangenehm wird für einen selbst.

Mit einem Transparenzpaket geschaffen werden soll Regierungsplänen zufolge im Übrigen die Möglichkeit für Verfassungsrichter, die bei einem Erkenntnis in der Minderheit bleiben, eine abweichende Meinung zu veröffentlichen. Das ist ein uraltes Thema, stand schon Ende der 1960er Jahre zur Debatte, 1998 gab es sogar eine parlamentarische Enquete dazu (das Protokoll ist hier abrufbar).

Grundsätzlich spricht sehr viel für „Dissenting Opinion“. Wenn Politik aber zunehmend einer Devise des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) folgt und meint, dass ihr Recht in jeder Hinsicht zu folgen habe, dann kann das gefährlich werden. Dann läuft das darauf hinaus, dem Höchstgericht einen Autoritätsverlust zu bescheren.

Der damalige VfGH-Präsident Gerhart Holzinger hat sich im August 2017 bei den Alpbacher Gesprächen entsprechend geäußert, wie die „Presse“ berichtete: Eine Offenlegung der Meinungs- und Willensbildung im VfGH würde sowohl „die seit Jahrzehnten bewährte Praxis der kollegialen Entscheidungsfindung als auch die Autorität des Gerichtshofs in der öffentlichen Wahrnehmung beeinträchtigen“, warnte Holzinger. Der Gerichtshof sei eben mehr als die Summe seiner Mitglieder. Vor allem sei „zu befürchten, dass eine Veröffentlichung von Sondervoten gerade bei einem Gericht, das vielfach gesellschafts- und damit parteipolitisch kontroversielle Fragen zu entscheiden hat, das Verhalten der Mitglieder und damit ihre Unabhängigkeit, verstanden als innere Freiheit, nachteilig beeinflussen könnte“.

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