Kickl ohne Grenzen

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef tritt offen an, Demokratie zu zerstören. Schlimmer: 30 Prozent hält er mit seiner Partei nicht obwohl, sondern weil er das tut.

In den Geschichtsbüchern wird sicher nie zu lesen sein, „dass die Rückkehr zur echten Demokratie“ im Jänner 2024 beim freiheitlichen Neujahrstreffen im steirischen Premstätten begonnen habe. Parteichef Herbert Kickl mag diesen „Wunsch“ geäußert haben. Das war jedoch zynisch. Zumal er ja bekräftigte, ein „Volkskanzler“ werden zu wollen; zumal er politische Mitbewerber und Medien als „Systemlinge“ abtat, Achtsamen unterstellte, „keine Eier“ zu haben und allen zusammen empfahl, eine „Liste Volksverrat“ zu bilden; und zumal er unter anderem den amtierenden Regierungschef auf eine „Fahndungsliste“ setzte und erklärte, es wie einen „Orden“ zu tragen, als „rechtsextrem“ eingestuft zu werden.

Herbert Kickl ist nicht der erste Freiheitliche, der vor einem Wahlerfolg steht. Jörg Haider und Heinz-Christian Strache taten das auch. Im Unterschied zu ihm kannten sie jedoch hin und wieder Grenzen. Vor Urnengängen meinten Beobachter bisweilen, sie würden jetzt staatstragend wirken. 2016 war sich Norbert Hofer sicher, zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Meist gab er sich gemäßigt. Einmal merkte er jedoch kryptisch an, man werde sich noch wundern, was einem Staatsoberhaupt alles möglich sei. Das ging zu weit, dürfte ihm Stimmen gekostet haben.

Bei Herbert Kickl ist vieles anders. Er bezeichnet sich ungeniert als „Volkskanzler“. Also als Mann, der sich unter Verweis auf einen behaupteten Volkswillen, den es in Wirklichkeit in einer diversen Gesellschaft mit selbstbestimmten Mitgliedern natürlich nicht geben kann, ermächtigt, durchzusetzen, was ihm gefällt; wobei er es mit willfährigen Abgeordneten im Hohen Haus (inkl. einem Nationalratspräsidenten Norbert Hofer) so weit bringen kann, dass man das ernst nehmen sollte.

Oder: Seit dem Rechtsextremen-Treffen mit dem Identitären Martin Sellner in Deutschland, das Anfang Jänner öffentlich bekannt wurde, ist endgültig klar, dass Kickl exakt gar keine Berührungsängste mit einschlägigen Vorstellungen hat. Das machte er in einem ZIB 2-Interview deutlich: „Remigration“, also Deportation? Kein Problem. Aberkennung der Staatsbürgerschaft? Möglich. Menschenrechte? Kein Hindernis.

Kickl ist nicht der Typ, der einfach nur ausspricht, was er sich denkt. Er ist berechnend und gibt sich ganz bewusst „trotz“ der bevorstehenden Urnengänge so gar keine Grenzen: Zum einen sieht er, dass die gesellschaftlichen Verwerfungen in Österreich so groß sind wie noch nie in der Zweiten Republik. Ja, er hat die FPÖ auf derzeit rund 30 Prozent geführt, nicht obwohl er gegen ein „System“ (bzw. repräsentative Demokratie, freie Medien etc.) antritt, sondern weil er es tut. Schlimmer: Er sieht sich nicht einmal gezwungen, von direkter Demokratie als einer besseren Alternative zu reden, wie es Strache noch getan hat, sondern kann es sich leisten, sich einfach als „Volkskanzler“ anzubieten, der tut, was ihm gefällt.

Zum anderen weiß Kickl genau, dass es in absehbarer Zeit nicht einfach wird für ihn, Bundeskanzler zu werden. Anstatt sich zu mäßigen, um so letzten Endes vielleicht Türkise wohlwollend zu stimmen, legt er jedoch nach, macht es ihnen erst recht schier unmöglich, eine Koalition unter seiner Führung einzugehen.

Was will er? Erst dann Regierungschef werden, wenn die FPÖ mit, sagen wir, rund 40 Prozent aus einer Nationalratswahl hervorgeht und einen viel kleineren Koalitionspartner findet, der sich mit ein, zwei bedeutungslosen Ressorts abspeisen lässt, im Übrigen aber ausschließlich Mehrheitsbeschaffer spielt.

2024 markiert insofern möglicherweise „nur“ eine Etappe, die jedoch Vorahnungen liefert: Während er sich als „Volkskanzler“ empfiehlt, gibt er seinen Anhängern, was das Handbuch für Populisten vorsieht – ein Niedermachen politisch Andersdenkender sowie Bestärkendes für sie: Sie seien die Normalität, sollten sich diesbezüglich nicht beirren lassen. Er weiß: So stärkt er eine Bindung, die er braucht, um seinem Ziel näher zu kommen.

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