Im Namen des Volkes

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KOMMENTAR VON GERHARD MARSCHALL. Die ÖVP hat einen Volks-Wahlkampf eröffnet. Dabei wird deutlich, wohin sich das Land demokratiepolitisch entwickeln soll. 

„Das Volk wird entscheiden.“ Mit diesem Slogan eröffnet die ÖVP den Wahlkampf, in welchem sie sich im Gegensatz zu den anderen Parteien längst befindet. Das zeugt von Professionalität und lässt auf längerfristige Planung schließen. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass Sebastian Kurz einen Koalitionsbruch strategisch anlegt.

Die türkise Botschaft ist klar: „Das Volk“ soll die Abwahl des Kanzlers im Parlament rückgängig machen. Was in der simplen plakativen Verknappung nachvollziehbar klingen mag, hat geradezu etwas Absurdes: Das Volk soll die Entscheidung des von ihm selbst gewählten Parlaments korrigieren. Es geht also nicht um mehr Demokratie, sondern um Machtvermehrung.

Obendrein und vor allem ist das mit dem Volk so eine Sache. In der Demokratie unbestritten höchste Instanz, kann es sich auch gewaltig irren. Und das umso leichter, wenn das Parlament als ausgleichendes Korrektiv ausfällt. „Das Volk regiert“ prangte seinerzeit groß auf dem Parlamentsgebäude, als dieses NS-Gauhaus war. Und im Namen dieses „Volkes“ geschah bekanntlich Unmenschliches.

Davon sind wir selbstverständlich weit entfernt. Es geht um Grundsätzliches. Wer sich in der Politik auf das Volk beruft, ist zum einem im Recht, macht sich zum anderen aber auch verdächtig, Demokratie nicht in ihrer Gesamtheit verstanden zu haben oder nicht verstehen zu wollen. Diese ist nämlich nicht nur Mehrheit, sondern auch Minderheit. Und ihr Wesen liegt im Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen. Auf diesem Grat muss sich Politik im Alltag beweisen. Wenn ausschließlich die Mehrheit in ihrem Sinne entscheidet, nennt sich das Diktatur.

Und schließlich: Wer ist „das Volk“?

Dieser Ausgleich findet in einer repräsentativen Demokratie im Parlament statt. Der oft beklagte Niedergang des Politischen hat eine wesentliche Ursache darin, dass das Parlament nicht der Ort hochstehender Debatten, nachvollziehbarer Konfliktaustragung und Konsenssuche ist. Vielmehr wird dort im Wesentlichen Regierungswille durch die Mehrheit exekutiert. Jedenfalls ist das das öffentlich wahrnehmbare Bild aus den Plenardebatten, derweil in den Ausschüssen sehr wohl um bestmögliche Gesetze gerungen wird, in die durchaus auch oppositionelle Ideen und Vorschläge einfließen. Dieses schiefe Bild zurecht zu rücken wäre wichtig.

Und schließlich: Wer ist „das Volk“? Die Antwort darauf offenbart, ob Politik einschließt oder ausgrenzt. Gerade von der türkis-blauen Koalition wurde in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Volksverständnis propagiert, das mehr gegeneinander ausspielt als zusammenhält: die einen gegen die anderen, „die Österreicher“ gegen die Zugezogenen, Flüchtlinge, Asylsuchenden, Fremden.

Insofern hat die ÖVP gleich zum Start eine Orientierungsmarke gesetzt. Klarer als alle vordergründigen Parolen und Verheißungen kann der von ihr angestrengte „Volks“-Wahlkampf deutlich machen, wohin sich das Land demokratiepolitisch entwickeln soll.

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