Illusion betreffend Kickl

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef hat keinen Grund, sich zurückzunehmen, um eine blau-türkise Koalition zu ermöglichen. Im Gegenteil: Perspektivisch sitzt er am längeren Ast.

Die FPÖ wird die große Gewinnerin sein bei dieser Nationalratswahl. Gegenüber 2019 wird sich der Balken, der in gängigen Grafiken den Stimmenanteil zum Ausdruck bringt, bei ihr mit Abstand am stärksten verlängern. Zu verdanken hat die Partei das nicht nur ihrem Obmann Herbert Kickl. Da ist schon auch das Scheitern der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“, in die so viele Menschen Hoffnungen gesetzt hatten. Und da sind all die Krisen, von Corona bis Teuerung, die mit den Leuten etwas gemacht haben, wie man so sagt. In Summe sind das günstige Voraussetzungen für einen Populisten, ja Demagogen. Geschenkt bekommt ein solcher jedoch nichts. Anders ausgedrückt: Kickl hat Stimmungslagen gezielt angesprochen und zu seinen Gunsten verstärkt, sein Erfolg beruht vor allem auch darauf, dass er verspricht, „die da oben“ zu treten und das politische System zu zerschlagen. Als wäre es schon genug, irgendeinen Unmut zu entladen.

Das muss man bedenken, wenn man darüber spekuliert, ob Kickl nicht vielleicht auf das Kanzleramt oder sonst eine Funktion in der Regierung verzichten könnte, um eine Bedingung von ÖVP-Chef Karl Nehammer zu erfüllen. Ob er sich also auf den Posten des Nationalratspräsidenten zurückzieht oder mit dem des Klubobmannes begnügt.

Einen Schmarren wird er. Kickl ist berechnend und hat einen langen Atem. Er ist auch nicht in der Position von Jörg Haider, der im Jahr 2000 die FPÖ-Führung in der Regierung Susanne Riess-Passer (heute Riess-Hahn) überließ. Weil’s mit ihm nicht gegangen wäre. Das war eine ganz andere Situation: Für die Freiheitlichen ging es darum, nicht zu einer ewigen Oppositionspartei zu verkommen, die von allen gemieden wird; die Gelegenheit zu nützen, Regierungsfähigkeit zu demonstrieren und Macht auszuüben bzw. zu missbrauchen, wie man rückblickend sagen muss.

Kickl hingegen war schon in der Regierung. Er weiß zudem, wie verhängnisvoll die Verlockungen sind. Stichwort Korruptionsaffären. Er weiß außerdem, dass er perspektivisch sehr wahrscheinlich nur gewinnen kann: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er die FPÖ früher oder später so deutlich auf Platz eins führt, dass ihr nichts mehr verwehrt wird.

Herbert Kickl hat für die FPÖ bereits eine Art Monopolstellung für 25, 30 Prozent der Wähler erarbeitet. Sie sehnen sich nach einem Volkskanzler, der durchgreift; oder sie wünschen sich einen, der ihnen hilft, all die Probleme, von Sicherheit bis Klima, zu verdrängen, damit sie vermeintlich nicht mehr da sind und endlich wieder Ruhe ist. Wie früher.

Kickl hat im Übrigen Mitbewerber, die dabei sind, sich selbst fertigzumachen: Die ÖVP setzt weiter auf Kurz’schen Rechtspopulismus und wird an diesem Sonntag gut und gerne zehn Prozentpunkte verlieren. Vielleicht wird sie vorne bleiben, vielleicht auch nicht. Die Richtung stimmt jedoch aus Kickls Sicht. Die SPÖ wiederum sind viele: Andreas Babler, Hans Peter Doskozil oder Doris Bures bzw. all jene, die sich nach einer „Große Koalition“ sehnen.

Noch besser für Kickl: Eine „Große Koalition“ steht, Stand heute, für nichts außer Verhinderung einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung. Da gibt es keinen Konsens, wie Wirtschaft und Gesellschaft weitergebracht werden könnten; wie mit Sozialem umzugehen ist, wo bei Bildung angesetzt werden könnte etc.

Warum soll Herbert Kickl unter diesen Umständen hinschmeißen, nur damit eine freiheitliche Regierungsbeteiligung möglich wird? Vielleicht als Juniorpartner ohne Finanzministerium oder gar ohne Innenministerium? Wo er doch erwarten kann, dass früher oder später alles noch besser kommt für ihn, Freiheitliche eh schon in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und bald wohl auch Vorarlberg und der Steiermark in Verantwortung stehen: Entweder akzeptiert ihn die ÖVP jetzt oder er zwingt sie dazu, es ein letztes Mal mit Sozialdemokraten zu versuchen, die sie eher noch mehr ablehnt als ihn.

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