Gezielter Griff in den Schmutzkübel

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ANALYSE. ÖVP-Chef Sebastian Kurz arbeitet sehr intensiv daran, künftig ohne Koalitionspartner regieren zu können.

Was hatte Sebastian Kurz im Nationalratswahlkampf 2017 nicht immer wieder betont, auf Schmutzkübelkampagnen zu verzichten und seinen Mitbewerbern gegenüber wertschätzend aufzutreten? Genauso oft zumindest, wie er darauf hinwies, die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen zu haben. Wie auch immer. 2019 greift Kurz nun selbst in den Schmutzkübel: Schon nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos hat er mehrfach den ehemaligen SPÖ-Berater Tal Silberstein in Verbindung damit gebracht. Nachdem das trotz aller Dementis pickt, schreitet Kurz zur nächsten Version. Demnach soll ein SPÖ-naher Anwalt dahinterstehen. Wieder muss sich Kurz auf eine Klage gefasst machen, der Anwalt weist diese Darstellung zurück und kündigt rechtliche Schritte an.

Was treibt den ehemaligen Kanzler an, was will er? Zunächst muss man sich über seine Vorgangsweise schon sehr wundern, ist das In-den-Raum-stellen irgendwelcher Behauptungen doch nicht besonders vertrauenserweckend, geschweige denn seriös. Eher entsprechen solche Praktikern Politikern, denen man nachsagt, Fundamentalopposition zu betreiben. Vielleicht will Kurz aber genau das auf andere Weise?

Im Puls 4-Interview, in dem der 32-Jährige die erwähnten Mutmaßungen zum Ibiza-Video präsentierte, stellte er deutlich wie nie die Option Minderheitsregierung in den Raum. Was schon interessant ist: Eine Minderheitsregierung kommt gewöhnlich dann zustande, wenn sich trotz aller Bemühungen keine Koalition ergibt, die über eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene verfügt. Sprich: Ihr geht ein ernsthaftes, aber vergebliches Ringen voraus.

Sebastian Kurz erspart sich das: Er sorgt schon heute für verbrannte Erde zur SPÖ, der er im Übrigen ja ohnehin Reformverweigerung attestiert. Und nebenbei ließ er auf Puls 4 wissen, dass er Herbert Kickl als Regierungsmitglied nicht mehr akzeptieren würde. Damit ist dessen FPÖ vor den Kopf gestoßen; sich von Kurz diktieren lassen, wen sie nicht zum Minister machen darf, kann sie jedenfalls nur schwer.

Mehrfach ist auf dieser Seite schon geschrieben worden, dass eine Minderheitsregierung sehr gut zu Sebastian Kurz passen würde. Überraschend ist nun jedoch, wie einfach er sich das vorstellt: Mit den Grünen fixiert er das eine und mit den Freiheitlichen das andere. Mit den Grünen schafft er das Dieselprivileg ab und mit den Freiheitlichen führt er flächendeckend 140 km/h auf Autobahnen ein – oder wie? Das wird schwer möglich sein, zumal die Grünen ja wohl auch ihrerseits bestimmte Forderungen erheben würden, wie die Nicht-Abschiebung von Lehrlingen, deren Asylantrag abgelehnt wurde.

Funktionieren würde eine Minderheitsregierung wohl nur unter zwei Voraussetzungen: Wenn sich Kurz auf populäre Maßnahmen beschränken würde, die kaum jemand ablehnen kann; das würde Österreich jedoch nicht weiterbringen. Oder wenn er eine Qualität entwickeln würde, die er bisher nicht gezeigt hat; ausgleichend zwischen allen Parteien wirken, nämlich.

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