Eine Zumutung

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ANALYSE. Inmitten großer Krisen rühmt sich die ÖVP, Minister:innenwechsel innerhalb von Stunden erledigt zu haben. Dabei hat die Partei allenfalls nur ein Problem mit sich selbst gelöst – und zum Ausdruck gebracht, was ihr wichtig ist.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat wieder einmal Klartext gesprochen: „Alle sind wir von diesem Krieg betroffen und wir kommen nur gemeinsam raus.“ Angesichts der Kriegshandlungen, der hohen Inflation und der steigenden Energiepreise befinde man sich in einer schwierigen Situation, sagte er bei der gefühlt hundertsten Angelobung neuer Regierungsmitglieder, die er seit 2017 vorgenommen hat.

Angesprochen fühlen durfte sich vor allem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er ist zwar erst seit Dezember im Amt, steht aber auch stellvertretend für seine Partei und ihre Geschichte, inklusive des Kapitels Sebastian Kurz. Dieser hatte das Land hemmungslos zu seinen Gunsten geführt. Schaden genommen haben beide, die Partei und das Land. Das merkt man bis heute.

Die Frage, wohin Nehammer die ÖVP führen möchte, wird er auf dem Bundesparteitag an diesem Samstag in Graz zu beantworten versuchen. In Wirklichkeit ist sie jedoch daneben: Nehammer hat alle Hände damit zu tun, zu schauen, dass sie nicht zugrunde geht.

Wenn er behauptet, dass er auf die nunmehrigen Minister:innenwechsel vorbereitet gewesen sei, dann spricht das in jedem Fall gegen ihn. Erstens: Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) wurde eigenen Angaben zufolge erst am Tag nach dem Rücktritt von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) gefragt, ob er deren Amt mit übernehmen könne. In Wirklichkeit ist Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) mit ihrer Rücktrittserklärung am Montagvormittag ins Auge gefassten Rochaden zuvorgekommen. Nehammer war hier nicht Akteur; er musste reagieren.

Zweitens: Es gibt Leute, die meinen, die neuen Regierungsmitglieder seien nach ÖVP-interner Logik ausgewählt worden. Nehammer widerspricht, er sei bei der Auswahl nicht nach Bünden vorgegangen. Ein bisschen stimmt sowohl das eine als auch das andere. Landwirtschaftsminister wurde nach alter Tradition ein Bauernbündler (Norbert Totschnig). Das Amt bleibt eine Erbpacht. Zusätzlich Wirtschaftsminister wurde mit Arbeitsminister Kocher kein „Bündler“, sondern ein Experte. Der Wirtschaftsbund konnte dies gerne akzeptieren, weil mit dem Ressort (im Vergleich zu früher) kaum noch Macht verbunden ist und der viel einflussreichere Finanzminister ohnehin aus seinen Reihen kommt (Magnus Brunner).

Ganz neue Handschrift ist hier keine zu erkennen, zumal Kocher einst ja von Sebastian Kurz geholt worden ist. Andererseits kann er natürlich als „Beweis“ dafür herangezogen werden, dass sich die ÖVP für Fachkompetenz geöffnet habe. Außerdem: Totschnig könnte in puncto Loyalität besser für Nehammer sein als Köstinger; und Kocher grundsätzlich besser als Schramböck. Das sind Askepte, die man nicht unterschlagen sollte.

Drittens: ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner zeigt sich im ORF-Report stolz drauf, wie schnell die Partei diese Rochaden wieder einmal abgewickelt habe. In Wirklichkeit wäre eher eine „Entschuldigung“ fällig: Normal sein sollte, dass eine Partei, die von sich sagt, staatstragend zu sein, in einer Legislaturperiode, die nur maximal fünf Jahre dauert, keine Regierungsmitglieder austauschen muss. Gegen die Partei spricht zusätzlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie eine derartige Rochade gerade auch in Zeiten wie diesen vornimmt. Womit wir wieder beim Eingangsstatement von Alexander Van der Bellen angelangt wären.

Wir sind mit großen Krisen konfrontiert. Wäre Köstinger gegangen, weil sie als Rohstoffministerin versagt hat; oder Schramböck, weil sie mit der Energiepreisbeobachtung nicht zurechtgekommen ist, dann wäre das den Umständen vielleicht angemessen gewesen. Gegangen sind sie jedoch, weil sie Mitten in einer Legislaturperiode draufgekommen sind, dass sie nicht mehr wollen bzw. die neue Parteiführung nach fünf Monaten entdeckt hat, dass andere an ihrer Stelle besser wären. Beides ist eine Zumutung – eine Partei und ihre Leute schauen hier eher nur auf sich selbst.

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