Freund, Feind, Koalitionspartner

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ANALYSE. Die Grünen tun sich schwer, sich von der Volkspartei zu lösen – auf Bundesebene wie in Vorarlberg. Dabei ist die Lage ziemlich klar.

Spätestens 2024, 2025 wird es auf Bundesebene keine türkis-grüne und in Vorarlberg keine schwarz-grüne Koalition mehr geben; zumindest nicht unter den derzeit führenden Personen. Das kann man so bestimmt feststellen, weil es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird: Bei Sonntagsfragen zu einer Nationalratswahl halten die beiden Parteien zusammen nur gut 35 Prozent. Und im äußersten Westen haben die Grünen Landeshauptmann Markus Wallner und damit halt auch der Volkspartei, für die er dort noch immer alleine steht, das Vertrauen entsagt. Formal mögen sie ihm kein Misstrauen ausgesprochen haben im Landtag, de facto haben sie es jedoch längst getan.

Und zwar im Zusammenhang mit einer (mutmaßlich) versuchten Handy-Daten-Löschung Wallners zeitgleich mit dem Bekanntwerden erster Meldungen, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Wirtschaftsbundaffäre Vorwürfen gegen ihn nachgeht: Grünen-Landesrat Daniel Zadra hat öffentlich bestätigt, als ressortzuständiges Regierungsmitglied nach Rücksprache mit Juristen die WKStA über Datenlöschabsichten informiert zu haben. Und die Grünen-Klubobfrau Eva Hammerer ließ daraufhin wissen: „Unser Vertrauen in den Landeshauptmann ist schwer erschüttert, es steht die Frage nach der Integrität des Amtes im Raum.“

Damit ist die Koalition fertig, aber noch nicht vorbei: Nicht nur, vor allem aber die Grünen, die jetzt die Gelegenheit gehabt hätten, Schluss zu machen, lassen sich auf ein Schrecken (fast) ohne Ende ein. Wobei man vorsichtig sein sollte, das allein ihnen anzulasten: Wäre es nicht die Pflicht von Wallner, zu seiner Verantwortung zu stehen? Müssten nicht auch ÖVP-Funktionäre irgendwann einmal beginnen, ihr Schweigen zu beenden und auch nur irgendein Problembewusstsein an den Tag zu legen?

So oder so ist das, was sich für die nächsten Monate, wenn nicht Jahre (Ermittlungen können dauern), abzeichnet, kein Zustand: Vorarlberg hat einen Landeshauptmann, der im U-Ausschuss aussagen und darüber hinaus immer wieder Stellung zu neuen Vorwürfen nehmen muss; bei dem alles, was er tut, immer in Verbindung mit dieser Affäre und seiner Rolle dabei gesehen werden wird; der umgekehrt also schwer von Anstand und Sparsamkeit (angeblich alemannische Tugenden!) reden kann; der, zusammengefasst, auf unabsehbare Zeit gehandicapt ist.

Auch die Grünen werden sehr viel abbekommen; im negativen Sinne: Dass die Landes-Koalition ab morgen wieder zur Tagesordnung zurückkehrt und eine sogenannte Reformpartnerschaft pflegt, die Windräder bauen und mit schwarzer Zustimmung gerne auch kostspielige Fahrradschnellstraßen inkl. Tunnels errichten wird, glauben sie wohl selbst nicht. Ab sofort gilt eher die Formel: Freund, Feind, Koalitionspartner.

Die Nachfolger von Johannes Rauch in Vorarlberg werden nicht umhinkommen, sich zu überlegen, wie sie ihre Zukunft in die Hand nehmen könnten: Wenn schon absehbar ist, dass sie über kurz oder lang aus der Regierung fliegen, könnten sie sich Strategien und Ziele überlegen. Aus ihrer Sicht könnte es im Hinblick auf eine nachfolgende Wahl zum Beispiel besser sein, nicht sie sagen, es geht nicht mehr mit Wallner, sondern umgekehrt; vielleicht könnte man es durch inhaltliche Forderungen, wie jener nach Einführung maximaler Informationsfreiheit (oder ganz anderer Dinge), dorthin treiben?

Voraussetzung dafür ist Selbstbewusstsein, bei dem man auch bei Bundes-Grünen nie weiß, wie sehr es vorhanden ist. Natürlich: Für Werner Kogler und Freund:innen ist das Bündnis mit den Türkisen ein einziger Tanz auf einem Vulkan (bzw. ein „Ritt über den Bodensee“, wie man in Bregenz sagen würde). In der Hoffnung, insbesondere das Klimaschutz- und das Justizministerium weiterhin führen zu können, setzen sie ihn immer wieder fort, obwohl ihnen das genauso gut auch zum Verhängnis werden könnte.

Vieles bleibt auf der Strecke: Grüne Kulturpolitik ist nicht erkennbar, obwohl die Partei ein Staatssekretariat dazu führt. Von ebensolcher Gesellschafts-, geschweige denn Bildungspolitik keine Spur. Auf der Haben-Seite steht nicht nichts. Es ist gut, dass das Justizministerium von einer Grünen, Alma Zadić, geführt wird in Anbetracht all der türkisen Affären. Schon bei der Klimapolitik wird’s aber zunehmend schwierig: Je größer der Druck für die ÖVP wird, angesichts katastrophaler Umfragewerte gegenzusteuern, desto lauter werden etwa Rufe von dort, die CO2-Bepreisung auszusetzen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch droht wiederum ein übler Herbst: Vor Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und Tirol werden unter anderem maßgebliche ÖVP-Politiker:innen wieder einmal bis zuletzt gegen Beschränkungen im Falle einer Coronawelle kämpfen und von einer Impfpflicht so oder so nichts wissen wollen.

Wie in Vorarlberg werden die Grünen auf Bundesebene wohl proaktiv werden müssen. Motto: Wir beginnen wieder stärker Profil zu zeigen; die Gefahr, dass es zum Koalitionsbruch kommt, nehmen wir in Kauf, weil wir so zumindest auch erhobenen Hauptes vor die Wähler:innen treten und ein passables Wahlergebnis erwarten können, das uns für die Zukunft stärkt.

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