Ein Stück Orbán

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ANALYSE. Nachtrag zum Maulkorb für ORF-RedakteurInnen: Bezeichnend ist nicht nur das Demokratieverständnis, das bei dem Vorstoß zum Ausdruck kommt, sondern auch, dass er (ausschließlich) gegen Journalisten gerichtet ist.

Es geht darum, allein die vierte Macht zu schwächen: Wie hier ausgeführt, hat sich Heinz Lederer, Chef des sozialdemokratischen Freundeskreises im ORF-Stiftungsrat, dafür ausgesprochen, Redakteurinnen und Redakteuren ein „absolutes“ Twitter-Verbot zu erteilen. So offen hat das noch niemand getan, es könnte aber auch Türkisen und Blauen gefallen, die sich um „Message Control“ bemühen. Es würde ihren Job leichter machen. Es handelt sich um eine Idee, die von Viktor Orbán stammen könnte.

Zunächst gilt selbstverständlich dies: Jede Journalistin, jeder Journalist ist immer JournalistIn. Auch eine Meinungsäußerung, die „privat“ getätigt wird, steht in diesem Zusammenhang. Allerdings muss es möglich sein, auch „privat“ öffentlich wahrnehmbar politisch zu sein und sich entsprechend zu betätigen, sprich zu äußern.

Diesbezüglich gibt es unausgesprochene, aber anerkannte Grenzen: Zu weit würde es beispielsweise gehen, sich durch eine Funktion in den Dienst einer Partei zu stellen. Es sei denn, man ist Mitarbeiter einer Parteizeitung oder nimmt in Kauf, (quasi) als Organ dieser Partei wahrgenommen zu werden. Eine solche Redakteurin, einen solchen Redaktuer kann sich jedoch kein Medium leisten, das um Unabhängigkeit bemüht ist, und schon gar nicht der ORF, der allen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet ist bzw. sich damit auseinanderzusetzen hat, was ist – nicht was ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen oder Neos gefällt.

Ein Twitter-Verbot für ORF-RedakteurInnen heißt, ORF-RedakteurInnen zum Schweigen zu bringen, wo es noch erforderlich erscheint, weil die parteipolitischen Möglichkeiten zur Einflussnahme ja eher auf das rein Dienstliche beschränkt sind.

Dieser Zug ist auch von daher alarmierend: Es würde auf eine Stärkung ohnehin schon starker Parteien hinauslaufen. Erstens: Sie gewähren sich selbst Förderungen, die jährlich angepasst werden, und (gemessen an der Bevölkerung) wohl nirgends so hoch sind wie in Österreich. Zweitens: Sie haben den ORF über den Stiftungsrat im Griff. Genauer: Die Noch-37,5-Prozent-ÖVP hat hier derzeit „absolut“ das Sagen. Drittens: Diese Parteien nehmen es ihrerseits nicht so genau mit der Trennung von Aufgaben und Pflichten.

Während sie von JournalistInnen verlangen, politische „Privatmeinungen“ für sich zu behalten, nehmen sie, sofern sie in Regierungsverantwortung stehen, über diese Steuergelder in Millionenhöhe in die Hand, um über Inserate eine Berichterstattung zu fördern, die ihnen passt. Anders kann man diese Form der Korruption nicht darstellen.

Außerdem: Bei ihren Doppelfunktionen sind sie schlampig. Beispiel 1: Bundeskanzler Karl Nehammer hat seine Rede zur Zukunft der Nation als ÖVP-Obmann gehalten. Im Kleingedruckten war das erwähnt. Als Parteievent ist die Show aber nicht eindeutig erkennbar gewesen. Das ist das eine. Das andere: Sein Sprecher Daniel Kosak weist sich auf Twitter aus als „Pressesprecher und stv. Kabinettschef von Bundeskanzler @KarlNehammer“ sowie „Vizebürgermeister in Altlengbach“. Er arbeitet also im Kanzleramt für den Bundeskanzler. Nicht in der ÖVP-Zentrale für den Parteiobmann. Dennoch agiert er auf Twitter auch so, bewirbt etwa dessen Rede zur Zukunft der Nation, teilt eine Einschätzung, wonach die Neos größtenteils falsch liegen würden bei der Inflation oder äußert sich amüsiert in Bezug auf die sozialdemokratische Mitgliederbefragung.

Das steht ihm frei, aber eben nicht als Kanzlermitarbeiter, sondern als ÖVP-Aktivist. Ähnlich ist es bei Raphael Sternfeld, was zu Beispiel 2 überleitet: Auf einen Tweet zur Rolle von Wiens SPÖ-Chef, Bürgermeister Michael Ludwig reagiert Sternfeld ebenso öffentlich mit der Antwort: „Er (Ludwig) agiert von Anfang an klar und deutlich, er unterstützt die gewählte!!! Vorsitzende. Er hat sie 2018 und 2021 jeweils gewählt und sie hat die Funktion inne. Er ist einer ihrer gewählten Stellvertreter und agiert loyal.“

Sternfelds Twitter-Profil ist nicht zu entnehmen, für wen er arbeitet. Er ist sozialdemokratischer Bezirksrat in Wien und hat sich hier auch klar im Sinne seines Parteivorsitzenden geäußert. Das steht im grundsätzlich zu. Er sollte sich nur klar für eine Öffentlichkeit deklarieren, der er unbekannt ist. Zumal sein (bezahlter) Job dieser ist: „Bereichsleiter für strategische Kommunikation der Stadt Wien“ – nicht der SPÖ oder ihres Stadtparteivorsitzenden.

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