Demokratische Zumutungen

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ANALYSE. Was fällt Kickl ein, sich als „Volkskanzler“ zu bezeichnen und Mikl-Leitner, „Normaldenken“ zu definieren – oder Babler, mit „unseren Leuten“ nicht nur SPÖ-Anhänger zu meinen? Damit nimmt er auch Verluste in Kauf.

Ursprünglich hieß es, gegen einen SPÖ-Vorsitzenden Hans Peter Doskozil spreche, dass dann alle drei größeren Parteien eine Anti-Ausländerpolitik betreiben würden, wie man früher gesagt hätte. Also nicht nur die FPÖ und die türkise ÖVP. Jetzt kann man feststellen, dass alle drei größeren Parteien mit sehr unterschiedlichen Zugängen zu Grundsätzlicherem nach einem sehr ähnlichen Muster vorgehen, obwohl Andreas Babler SPÖ-Vorsitzender geworden ist.

FPÖ-Chef Herbert Kickl bezeichnet sich als „Volkskanzler“. Das ist eine Anmaßung. Es geht darum, dass er sich als solcher zu allem ermächtigen möchte, was ihm gefällt. Ein Volkskanzler agiert (angeblich) ja im Sinne eines Volkes. Als wäre das eine Einheit mit einem einzigen Standpunkt, egal, worum es geht. Sprich: Vielfalt existiert nicht. Genauso wenig wie beim „Normaldenkenden“-Ansatz von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Wer anders ist, ist gegen das Volk oder gegen eine vermeintliche Normalität: Darauf läuft es hinaus.

SPÖ-Chef Andreas Babler wiederum redet ständig von „unseren Leuten“. Naheliegend wäre, dass er damit Mitarbeiter:innen, Funktionär:innen oder vielleicht Wähler:innen seiner Partei meint. Sein Hinweis, dass 80 Prozent der Steuereinnahmen von „unseren Leuten“ und 20 Prozent von „den Reichen“ stammen würden, macht jedoch deutlich, dass er weit darüber hinaus geht. In Bezug auf die 80 Prozent meint er ausdrücklich alle „arbeitenden Menschen“. Ist man Kleinlich, grenzt er also auch Arbeitslose und Pensionist:innen aus. Das aber ist ein anderes Thema.

Hier geht es um drei Dinge. Erstens: Wie kommen Nicht-SPÖ-Anhänger dazu, von Babler als „unsere Leute“ bezeichnet zu werden? Zweitens: Warum dürfen „die Reichen“ andererseits wiederum nicht dazu gehören? Nein, das ist keine theoretische Fragestellung. Es ist klar, dass die Sozialdemokratie eher eine Partei der Arbeitnehmer:innen ist, ob sie nun noch erwerbstätig sind oder schon in Pension.

Der Punkt (drittens) ist, dass die SPÖ hier abweicht vom Anspruch, Verhältnisse für alle Menschen in diesem Land zu schaffen, die nach ihrer Vorstellung gerecht sind, ohne dabei einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen und sich gegen Vermögende zu stellen, denen das Steuersystem gefallen mag, das sie aber nicht zu verantworten haben. Im Übrigen würde es einem gewissen Anspruch gerecht werden, nicht viele Männer und Frauen ungefragt für sich zu vereinnahmen, sondern die Souveränität aller, also auch Andersseiender, zu respektieren.

Die Strategie mag klar sein: Babler will einer Masse signalisieren, dass er für sie brennt. Und zwar umso mehr als dies Kickl schon länger und mit erheblichem Zuspruch tut. Vielleicht kommt er damit durch. Wer weiß. Er riskiert aber, nicht nur jene gegen sich aufzubringen, die „superreich“ sind und nie im Leben die SPÖ wählen würden, sondern auch jene, die unter Umständen links der Mitte stehen, aber Wert darauf legen, selbstbestimmt zu sein und sich daher schon aus Prinzip gegen eine solche Vorgehensweise verwehren.

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