Christian Kern und der verhängnisvolle Wechselschritt

ANALYSE. Der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende orientiert sich mehr denn je an Strache und Kurz. Das kann nicht gut gehen.

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ANALYSE. Der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende orientiert sich mehr denn je an Strache und Kurz. Das kann nicht gut gehen.

Als Regierungschef und Vorsitzender der stärksten Partei muss man natürlich besonders pragmatisch sein. Wenn man das bleiben möchte, muss man bei allem, was man will, immer auch die Mehrheitsmeinung berücksichtigen. Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hat das bei seinem Amtsantritt vor bald einem Jahr auch ziemlich souverän gemacht. Mittlerweile läuft er jedoch Gefahr, sich nur noch daran zu orientieren, was Heinz-Christian Strache (FPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP) und damit erwartungsgemäß auch eine Mehrheit der Österreicher fordern. Das ist einfacher für ihn, zugleich aber auch viel verhängnisvoller.

Der 51-Jährige ist mit einem Plan angetreten. Und damit ist nicht der gemeint, den er Mitte Jänner vor Genossen in Wels präsentierte, sondern der, mit dem er auf seiner ersten Pressekonferenz im Parlament von sich reden machte. Das klang nach einem neuen Zugang zur Politik, der nicht immer nur so tut, als gebe es ausschließlich Türkei-, Flüchtlings- und Integrationsprobleme.

Folglich versuchte Kern, andere Themen, wie eine Wertschöpfungsabgabe, anzureißen. Vergeblich. Er kam nicht durch und ließ es dann irgendwann einmal sein. Wobei SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler eine eher beschämende Erklärung für derartige Kursänderungen lieferte; laut „Kurier“ sagte er auf einem Hintergrundgespräch, dass sich Kern zu weit links positioniert habe. Als würde es sich um ein Produkt handeln, das einzig und allein nach dem Markt ausgerichtet werden muss. Wie bei CETA. Da war es laut Niedermühlbichler sogar schwer, wieder herauszukommen, nachdem man die Parteimitglieder zu lange hoffen ließ, ein Veto gegen das ungeliebte Freihandelsabkommen einzulegen. Politik wäre jedoch mehr als Marktforschung. Vor allem nämlich auch dies: Ein inhaltliches Ziel und eine Strategie, die zur weitestmöglichen Erreichung führt.

Nicht, dass Kerns Mitbewerber da besser wären. Doch das kann wohl nicht das Maß sein.

Nicht, dass Kerns Mitbewerber da besser wären. Kurz ist, wie Stefan Kappacher in seinem Blog schreibt, „Weltmeister im Ankündigen und Aufspüren des Volksempfindens“; mehr ist Politik auch für diesen nicht. Doch das kann wohl nicht das Maß sein, mit dem sich ein Kanzler, geschweige denn SPÖ-Vorsitzender, begnügen sollte: Er muss mehr wollen. Sonst erübrigt sich letzten Endes ja auch die gesamte Sozialdemokratie.

In jüngster Zeit hat sich Kerns Orientierung an Strache und eben Kurz jedoch deutlich verschärft: Stichwort Burkaverbot. Oder der Umgang mit (nun zum Glück ohnehin nicht mehr stattfindenden) Auftritten von türkischen Politikern in Österreich: Sprach er sich zunächst für ein europaweites Verbot aus, so ließ er sich letztlich doch auf eine nationale Regelung ein. Ganz zu schweigen von seinem Njet zum europäischen „Relocation“-Programm, wonach sich Österreich dazu verpflichtet hätte, zunächst 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu übernehmen. Seit Monaten ist das absehbar; doch jetzt, da es ernst werden würde, will Kern nichts mehr davon wissen.

Dieses Beispiel zeigt vielleicht am besten, wie sehr der Kanzler zum Getriebenen geworden ist: Nicht mehr er setzt die Themen. Er versucht vielmehr, die Themen, die daherkommen, im Sinne von Strache und Kurz abzuarbeiten. In der Hoffnung vielleicht, ihnen damit Wind aus den Segeln zu nehmen und dass all das irgendwann einmal erledigt ist und er endlich zu seiner Agenda übergehen kann. Doch das kann sich noch so lange ziehen, dass dem eine schreckliche Nationalratswahl dazwischenkommt. Und dann erübrigt sich möglicherweise ohnehin alles.

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