Alles ist möglich

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ANALYSE. Warum niemand wissen kann, wie die nächste Wahl ausgeht, die SPÖ mit Babler genauso gut gewinnen wie verlieren kann. Und warum auch für Kickl nichts sicher ist.

Noch nie hat es in der österreichischen Politik ein derartiges Vakuum gegeben. Das erkennt man daran, dass „Niemand“ in der Kanzlerfrage regelmäßig vorne liegt, sich also eine Mehrheit für keinen der Parteivorsitzenden ausspricht. Oder daran, dass der Bierpartei, von der seit der Bundespräsidenten-Wahl vor mehr als einem halben Jahr nicht mehr zu hören ist, als ihr Vorsitzender Dominik Wlazny kandidierte, vereinzelt noch immer so viel Zuspruch ausgewiesen wird, dass sie bei einem Urnengang am kommenden Sonntag den Sprung ins Hohe Haus schaffen könnte.

Insofern überrascht es, dass über Neuwahlen nachgedacht wird. Das kommt vielleicht daher, dass die Koalition nur noch wenig zustande bringt. Dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer Rede zur Zukunft der Nation eine inhaltliche Weichenstellung für einen Wahlkampf vorgenommen hat. Andererseits: Seine Partei liegt so schlecht, dass es eher verwundert, dass er noch nicht früher angefangen hat, ihr Profil zu schärfen.

Dumm wäre es jedenfalls, davon auszugehen, dass die SPÖ abstürzen wird. Natürlich: Stand heute mag die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht mehr hoch gewinnt, größer sein. Mit Andreas Babler hat sie nun jedoch einen Mann an ihrer Spitze, der für all die gegenwärtigen Unberechenbarkeiten in der österreichischen Politik steht.

Nach alten „Gesetzmäßigkeiten“ ist er als Kanzlerkandidat chancenlos: Er wirkt nicht staatstragend, steht weit links und sagt, was er sich denkt. Siehe den Zoom-Mitschnitt, in dem er 2020 zum Ausdruck brachte, wie er die EU sieht. Viele Beobachter sind vergangene Woche davon ausgegangen, dass er sich damit aus dem Rennen genommen hat. Ihre Einschätzung basierte auf Erfahrungswerten. Sie sind jedoch überholt.

Das korrigierte Ergebnis der Kampfabstimmung auf dem Bundesparteitag zwischen Babler und Hans Peter Doskozil signalisiert zwei, drei Dinge: Der Traiskirchner Bürgermeister befriedigt eine Sehnsucht nach Leidenschaft; in Verbindung mit einer authentischen Konzentration auf Sorgen und Nöte einer Masse. These: Um Linkes geht es dabei weniger. Anderes, wie die Haltung zur EU, spielt keine Rolle. Es geht um die Botschaft an die Leute: „Ihr seid keine Bittsteller, ihr habt Rechte.“ Aufgabe der Sozialdemokratie sei es, dafür zu sorgen, dass sie keine schlaflosen Nächte wegen einer Stromrechnung haben müssten.

Man sollte nicht ausschließen, dass das ankommt; dass man bei Babler über vieles hinwegsieht, was Beobachtern relevant erscheint, weil er liefert, was zu vielen Politikern fehlt, worauf es jedoch mehr denn je ankommt: Die Leute sehen die multiplen Krisen und wissen, dass man nicht alles lösen kann; sie goutieren es jedoch, wenn ihnen einer glaubwürdig nahe ist.

Insofern scheint Babler dem Salzburger KPÖ plus-Chef Kay-Michael Dankl nicht unähnlich zu sein. Beide sind Kommunalpolitiker, beide eher auf der Straße anzutreffen. Dankl bescherte den Kommunisten bei der jüngsten Landtagswahl 11,7 Prozent; das hat viele verwundert, weil das ja „die Kommunisten“ sind.

Es ging jedoch um Dankl, nicht um die KPÖ. Heißt umgekehrt: Ohne eine Person wie Dankl in Salzburg liegen die Kommunisten eher im unteren einstelligen Bereich. Wenn überhaupt. Siehe Grafik. Ausnahme: Steiermark bzw. Graz, wo es Elke Kahr nicht zuletzt zur Bürgermeisterin gebracht hat, weil sie auf dem aufbauen konnte, was ein paar wirkungsstarke Vorgänger geschaffen haben.

Bei den jüngsten Landtagswahlen sind auch in Kärnten und Tirol Parteien mit Akteuren erfolgreich gewesen, die unterschiedlich sozial-bürgernahe sind und denen das auch abgenommen wird: die Liste Köfer (Kärnten) und die Liste Fritz (Tirol).

Oder Dominik Wlazny von der Bierpartei: In seinem Fall ist nur wenig bekannt darüber, was er politisch möchte. Zu seinem Erfolg gehört eher, dass er als umgänglicher, sympathischer Kerl gilt, der Leerstellen – von der Sicherheits- bis zur Pensionspolitik – unbekümmert offen eingesteht.

Solche Typen, von Babler über Dankl bis Wlazny, sind nicht zuletzt auch für Herbert Kickl ernstzunehmende Mitbewerber. Durch sie verliert die FPÖ das Monopol, eine Absage an klassische Politik darzustellen. Sie können dabei zum Teil sogar glaubwürdiger sein: Dankl redet den Leuten nicht (nur) kicklmäßig ein, dass sie Regierenden egal seien, er engagiert sich beinahe wie ein Sozialarbeiter für sie und spendet einigen, die es brauchen, auch einen Teil seines Bezugs.

Das führt zu Wählerströmen, die es gar nicht geben dürfte. Zum Beispiel: In Salzburg ist laut Analyse des Sozialforschungsinstituts SORA jede zehnte Stimme der linken KPÖ plus von der rechten FPÖ gekommen.

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