Rot in Not

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ANALYSE. Auf Wiener Gemeindeebene machen die Grünen hinter dem Rücken der führenden SPÖ gemeinsame Sache mit der ÖVP. Zu verlieren haben sie nichts.

Die Wiener Grünen verfügen über etwas, was ihren Freunden auf Bundesebene, ganz besonders aber denen auf Tiroler Landesebene fehlt: Selbstbewusstsein, Chuzpe und dergleichen. Konkret: Unter Vizebürgermeisterin Birgit Hebein sind sie dabei, ohne Einbindung der regierenden SPÖ bzw. gemeinsam mit der schwarzen Bezirksvertretung die Innere Stadt zur autofreien Zone zu erklären. Wobei man die symbolische Dimension beachten muss: In der Sache handelt es sich um einen Klacks. Durchgangsverkehr gibt es ohnehin keinem mehr. Und die Zufahrt zu den Parkgaragen soll möglich bleiben. Gefühlsmäßig handelt es sich jedoch um einen grünen Meilenstein, der selbst Maria Vassilakous Rückbau der Mariahilferstraße verschwindend klein erscheinen lässt.

Umso bemerkenswerter ist eben, dass das von den Wiener Grünen in einem selbsterklärten, koalitionsfreien Raum abgewickelt wird. Vergleichbares haben Werner Kogler und Co. auf Bundesebene bisher nicht geliefert; und ihre Tiroler Freunde tun das schon gar nicht, sie steigen allenfalls auf Barrikaden, um sich damit auch nur selbst Probleme zu bereiten (vgl. die Sache mit ÖVP-Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler). Beide stellen sich alles in allem eher in den Schatten der führenden Regierungspartei, der ÖVP also.

Nicht so die Wiener Grünen. Sie emanzipieren sich von der dominanten Sozialdemokratie. Das ist eine Chance, aber auch eine Risiko für sie – und eine Warnung für diese. Doch eines nach dem anderen: „Die Presse“ wirft gleich in einem Leitartikel die naheliegende Frage auf, ob es sich bei der Verkehrsberuhigung in der Innern Stadt um ein Vorspiel für eine Koalition nach der Gemeinderatswahl im Oktober handle*. Das ist möglich – und für einige Sympathisanten der Grünen möglicherweise auch irritierend; gerade bei all jenen, die links der Mitte stehen.

Andererseits: Was haben die Wiener Grünen schon zu verlieren? Bei der SPÖ von Bürgermeister Michael Ludwig kann sie sich nicht sicher sein, ob nach der Wahl nicht Rot-Türkis kommt und sie damit auf der Oppositionsbank landet. Mehr als sein Vorgänger Michael Häupl achtet Ludwig jedenfalls auf Auto- und nicht auf Radfahrer. Ist ja nachvollziehbar: Die Sozialdemokratie muss Wähler abholen, die die FPÖ verloren hat – die nun einmal eher motorisiert unterwegs bzw. ganz und gar nicht „grün“ sind.

*) Eine türkis-grüne Mehrheit ist eher unwahrscheinlich, halten die beiden Parteien derzeit doch nur gut 40 Prozent. Allerdings: Es gibt zumindest eine Mehrheit gegen die SPÖ.

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