ANALYSE. Wollen Kern und Mitterlehner wirklich etwas bewegen, können sie es nicht bei Scharmützeln mit den Sozialpartnern bewenden lassen.
Dass vor allem Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) den Einfluss der Sozialpartner zurückweisen möchte, bringt ihm viel Applaus ein. Das zeugt vom Unbehagen über die Kammern. Doch sie zu schwächen, genügt nicht: Will Mitterlehner gemeinsam mit Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) wirklich etwas bewegen, müssen die beiden viel weiter gehen.
Eine Lockerung der Gewerbeordnung? Oder der Arbeitszeitbestimmungen? Kern und Mitterlehner könnten ein Projekt nach dem anderen angehen, würden dabei jedoch Gefahr laufen, sich allmählich demontieren zu lassen: Sich über Widerstände hinwegzusetzen, die es gegen jede dieser Reformen vonseiten der Kammern geben würde, kostet Kraft; und das nützt ab.
Im Übrigen würde beispielsweise eine Abschaffung der Ladenschlusszeiten möglicherweise die Wirtschaft beleben. Eine nachhaltige Veränderung des Landes wäre damit allerdings noch nicht erreicht. Genauso wenig, wie es nach zwei, drei weiteren solchen Maßnahmen der Fall wäre.
Reformen stehen schließlich andere Dinge im Weg; nicht nur die Arbeits- und die Wirtschaftskammer oder der Gewerkschaftsbund und die Landwirtschaftskammer: Behinderlich ist vor allem auch das Bund-Länder-Verhältnis, das einem undurchschaubaren Dschungel gleicht.
So lange alle Gebietskörperschaften mitmitschen, kann keine echte Veränderung stattfinden.
So lange bei den Schulen etwa sämtliche Gebietskörperschaften mitmischen und damit niemand die Gesamtverantwortung trägt, kann in diesem Bereich keine echte Veränderung stattfinden. Das selbe gilt für das Gesundheitswesen, wo zu Bund, Ländern und Gemeinden auch noch die Krankenversicherungsträger hinzukommen. Und so weiter und so fort.
Diesen Dschungel zu durchforsten ist die entscheidende Herausforderung: Dazu nötig wären Verfassungsnovellen. Und dazu ist wiederum eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Kern und Mitterlehner müssten also eine Oppositionspartei dafür gewinnen – und ihre eigenen Abgeordneten halten, was insofern schwer ist, als die meisten von ihnen über Landesparteilisten ins Hohe Haus gekommen und damit (oft) Landeshauptleuten verpflichtet sind, die vieles, aber ganz sicher keine Einschränkung ihrer Macht zulassen werden.
Einfach ist eine solches Unterfangen also nicht; im Gegenteil. Es ist jedoch unumgänglich: Die Politik muss durch eine Bereinigung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erst handlungsfähig gemacht werden. Wobei sich ein Vergleich mit Italien und dem dortigen Ministerpräsidenten Matteo Renzi aufdrängt: Zumal auch in seinem Land das Chaos groß ist, ist er eine Verfassungsreform angegangen – von deren Gelingen er konsequenterweise seine Zukunft abhängig macht.