ANALYSE. Gerade jetzt könnten, ja müssten Lothar Lockl und Co. zu einem Befreiungsschlag gegenüber einer verkommenen Politik ansetzen.
Es ist nicht nichts passiert. Und es geht nicht nur um Schäden, die die Volkspartei durch all die Korruptionsaffären nimmt; oder um die beiden Chefredakteure Rainer Nowak (Die Presse) und Matthias Schrom (ORF). Es geht vor allem auch darum: Politik und Medien befinden sich in einer Vertrauenskrise.
Beim ORF hat das eine besondere Qualität: Einerseits haben Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf, durch ihn ordentlich informiert zu werden. Andererseits glaubt Regierungspolitik seit Jahren, Einfluss darauf nehmen zu müssen. Und zwar nicht uneigennützig im Sinne der Allgemeinheit, sondern durch und durch eigennützig. Ein Hebel dazu ist der Stiftungsrat, der unter Schwarz-Blau Anfang der 2000er Jahre leider nur vorgeblich „entparteipolitisiert“ wurde, wie man damals sagte.
In Wirklichkeit ist alles eher schlimmer geworden: Im Stiftungsrat, einem Aufsichtsgremium, dürfen zwar keine Mandatare mehr sitzen, sehr wohl aber ehemalige Sekretäre. Das sind Leute, die für die Politik viel wirkungsvoller sind, weil sie wissen, wie man Machtinteressen durchsetzt. Und weil sie wirklich hart sein können: Sie müssen nicht wiedergewählt werden und können es sich daher leisten, sich bei allen – mit Ausnahme ihres Auftraggebers – unbeliebt zu machen. Durch ihren Auftraggeber haben sie die nötige Autorität. Früher hätte man gesagt, es handle sich um Leute fürs Grobe.
Im ORF-Stiftungsrat besitzt die ÖVP eine absolute Mehrheit. Vorsitzender der türkisen Fraktion ist der Unternehmensberater und ehemalige Mitarbeiter von Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), Thomas Zach. Er leistet gute Arbeit. Aus Sicht der Volkspartei. Im vergangenen Jahr hat er geholfen, Roland Weißmann als Generaldirektor des ORF durchzusetzen. An einer Fraktionssitzung durfte sogar der seinerzeitige Sebastian-Kurz-Medien- und Message-Control-Mann Gerald Fleischmann teilnehmen.
Trotz absoluter Mehrheit überließ die ÖVP die Führung des Stiftungsrates den Grünen bzw. Ex-Van der Bellen-Sprecher Lothar Lockl. These: Jetzt wäre seine Stunde gekommen. Genauer: Er steht in der Pflicht, sich im Sinne des Öffentlich-Rechtlichen zu behaupten und dafür auch möglichst viele andere Stiftungsräte zu gewinnen.
Generaldirektor Weißmann beschränkt sich auf das Nötigste: Am Montag begrüßte er den Urlaubsantritt von Matthias Schrom: „Die Optik der Chats ist verheerend und so habe ich den Ethikrat um Prüfung ersucht.“ Aber: „Die Glaubwürdigkeit der ORF-Nachrichten steht trotz dieser Chats weiterhin außer Zweifel.“ Am Mittwoch nahm er den Rücktritt von Schrom als Chefredakteur an, nicht ohne zu betonen, dass seine bisherige Amtsführung „untadelig“ gewesen sei.
Dass Schrom gehen musste, ist nicht Weißmann, sondern sehr vielen ORF-Redakturinnen und -Redakteuren zu verdanken, die die Chats als das betrachten, was sie sind: eine unverzeihliche Grenzüberschreitung.
Aber es geht hier eben nicht nur um Schrom: Mit all den Chats geht eine so umfassende Vertrauenskrise einher, dass Maßnahmen zum Schutz des ORF gegenüber einer Politik nötig sind, die weiterhin meint, ihn sich zurechtrichten zu müssen. Das abzuwehren kann man nicht verantwortungsbewussten RedakteurInnen und ihren VertreterInnen allein überlassen. Der Stiftungsrat muss eine Brandschutzmauer bilden. Sein Vorsitzender, Lockl, müsste tun, was der wortkarge Roland Weißmann auch aufgrund seiner Nähe zu Türkisen nicht zusammenbringt: den neun Millionen Menschen in Österreich verdeutlichen, dass jetzt eine Zäsur nötig ist und darlegen, wie starker Journalismus im ORF gewährleistet werden kann; wie Politik am besten erst gar nicht mehr auf diese Idee kommen kann, sich um Einfluss zu bemühen.