ANALYSE. Warum der Volkspartei wirklich das Schicksal der „Democrazia Cristiana“ droht und wer davon profitiert.
Auf Bundesebene war die Geschichte der ÖVP schon im Frühjahr 2017 zu Ende; zumindest strenggenommen: Nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner übergaben die Landesobleute den Schlüssel Sebastian Kurz. Und zwar nicht nur mit den Hinweis, er solle mit der Partei machen, was er wolle, sondern auch mit ausdrücklichen, nämlich statutarischen Ermächtigungen dazu. Entsprechend schlecht geht es ihr heute nach dem Abgang von Kurz: Es steht zwar noch ÖVP drauf, ist aber nicht mehr ÖVP drinnen. Die Farbe ist anders, Inhalte – sofern vorhanden – sind es etc. Karl Nehammer mag und kann nicht zurück, ist aber auch außer Stande, etwas Neues daraus zu machen.
Wie auch? Die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zerbricht in sehr unterschiedliche Teile. Es gibt diejenigen, die noch einigermaßen zufrieden sind mit sich und der Welt und daher möglichst wenig ändern wollen. Es gibt andere, die von Abstiegsängsten geplagt werden und zunehmend unrund werden. Oder solche, die die Klimakrise sehen und erkennen, dass Veränderungen nötig sind. Es ist schwer bis unmöglich geworden, hier ein umfassendes Programm für alle zu schaffen. Es ist daher schwer bis unmöglich geworden, sich längerfristig als Volks- im Sinne einer Massenpartei in der Mitte zu behaupten.
Die Korruptionsaffären beschleunigen den Niedergang dessen, was von der ÖVP noch da ist. Sie treiben Wähler zurück zur FPÖ, wo sie von Kurz 2017 und mehr noch 2019 abgeholt worden sind. Und andere wiederum zu den Neos und den Grünen, die zurzeit mit jeweils elf Prozent zusammen ein beachtliches Niveau halten.
Man könnte glauben, dass die selbstbewussten Landesorganisationen die ÖVP vor dem Schicksal der italienischen „Democrazia Cristiana“ bewahren, ihrer einst stolzen Schwesterpartei, die 1993 in Korruptionssümpfen untergegangen ist. Das ist jedoch eine Täuschung. Seit Jahren versuchen gerade diejenigen unter ihnen, die den Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau stellen, sich Tarnanzüge überzustreifen und so darüber hinwegzutäuschen, dass sie Teil der Österreichischen Volkspartei sind.
In der Steiermark gibt sich die ÖVP grün, in Salzburg eher bläulich, in Oberösterreich gelb, in Niederöstereich blau-gelb. Hier nennt sie sich im Übrigen schon länger „Die Niederösterreich-Partei“, tut das jetzt aber so offensiv, dass es auch der „Presse“ aufgefallen ist. Dahinter steckt Strategie: Im Hinblick auf die Landtagswahl Ende Jänner und aufgrund der katastrophalen Lage der ÖVP bemüht sich Johanna Mikl-Leitner, eine eigene Wirklichkeit zu schaffen. Niemand soll die ÖVP wählen müssen, alle sollen die Möglichkeit haben, „Die Niederösterreich-Partei“ zu unterstützen, die durch ihren Namen den Eindruck erweckt, überhaupt die einzige Partei zu sein.
Der Punkt ist aber eben der: Um Wahlverluste zu minimieren, müssen sich Schwarze in den Ländern verleugnen. Wie in Tirol, wo bei der Landtagswahl Ende September keine Liste mit der Kurzbezeichnung ÖVP existierte, sondern „MATTLE“, benannt nach Spitzenkandidat Anton Mattle (ÖVP).
Das macht was mit der ÖVP insgesamt. Sie nimmt unterschiedliche Identitäten an, wählt auch inhaltlich Zugänge, wie sie gerade passen. Damit gehen Auflösungstendenzen einher, was nicht bedeutet, dass Teile, wie „Die Niederösterreich-Partei“, für sich genommen nicht bestimmend bleiben können in ihrem Bereich. Und: Diesen Teilen ist die Bundesorganisation geradezu schnurzegal. Kein Landeshauptmann versucht zurzeit, sichtbar daran mitzuwirken, dass sie aus der Krise kommt. Mikl-Leitner tut es schon gar nicht. Damit würde sie ihren Wählern erst recht nur verraten, dass das ihre Partei ist.
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