Regierung verschärft Krise

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ANALYSE. Der Kanzler sprachlos, sein Kabinett zerstritten: So werden die kommenden Monate wirklich hart.

Am Nationalfeiertag hätte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine große Chance gehabt, vieles wieder einzufangen, was in den vergangenen Wochen aus dem Ruder gelaufen ist in Bezug auf die Pandemie. Ja, ohne dramatisieren zu wollen, kann man sagen, dass es dafür (vielleicht) gerade noch vor Zwölf gewesen wäre. Allein, Kurz hat die Chance nicht genützt, mit dem 26. Oktober ist vieles sogar noch schlimmer geworden, was er und seine Regierung zu verantworten haben.

Die Zahlen sind schon länger „besorgniserregend“ (Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Grüne). Und selbst wenn man bedenkt, dass sie nur von begrenzter Aussagekraft sind (siehe diese Analyse), gibt es gute Gründe, alarmiert zu sein: Erstens, weil sich in Österreich mehr und mehr die Überzeugung ausbreitet, dass man einem zweiten Lockdown quasi hilflos ausgeliefert sei. Und zweitens, weil zunehmend eine gewisse Wut dazukommt; sie geht davon aus, dass hier irgendetwas faul ist.

Das merken selbst diejenigen, die sich nicht mit Politik beschäftigen: Vor einem halben Jahr hat Sebastian Kurz gesagt, dass bald jeder jemanden kennen werde, der … Es ist zum Glück nicht dazu gekommen. Aber: Kurz hat sich nie dazu erklärt, er hat nicht einmal berichtet, die Lage nach bestem Wissen und Gewissen kommentiert zu haben. Nach dem Sommer versprach er Licht am Ende des Tunnels. Heute ist es so dunkel wie noch nie. Wieder erklärt sich Kurz nicht. An diesem 26. Oktober warnte er vielmehr nur, dass „schwere Monate“ vor uns liegen würden. Was heißt das? Wie meint er das? Was könnte man tun? Diesbezüglich ist er sprachlos geblieben und das verstärkt wiederum eine wachsende Unsicherheit.

Womit wir bei der wohl schlimmsten Entwicklung angelangt wären: Sehr viele Bürgerinnen und Bürger kennen sich nicht mehr aus. Nicht nur, dass sich Regeln – über Abstand halten, Hände waschen, Maske tragen hinaus – ständig ändern. Die Koalitionsparteien sind im Übrigen schon so verkracht, dass sie tragisch viel Zeit dafür verbrauchen, um neue Ankündigungen von einer Pressekonferenz in eine Verordnung zu übertragen (wie „Der Standard“ hier am jüngsten Beispiel sehr eindrucksvoll dokumentierte).

Und vor allem muss die Masse auch noch folgendes irritieren: Im Frühjahr gab die Regierungsspitze täglich eine Pressekonferenz, heute gibt sie bei viel höheren Zahlen kaum noch welche. Warum sie das tut, sagt sie nicht. Sie lässt stattdessen leider auch nicht Expertinnen und Experten die Bühne. Also provoziert sie unterm Strich den Eindruck, wonach alles unter Umständen doch nicht so schlimm sein könnte. Was weiß man?

Außerdem: Eigenverantwortung hin, Eigenverantwortung her, als gewöhnlicher Bürger ist man kein Epidemiologe. Man braucht immer wieder Orientierungshilfen. Und was das betrifft, schaut es folgendermaßen aus: In Österreich gab es für zahlreiche Bezirke „Ampelschaltungen“ auf Rot, aber null Konsequenzen. Signal: Egal. Da und dort ist der 7-Tage-Zuwachs bestätigter Infektionen pro 100.000 Einwohner auf kaum noch fassbare 400 und mehr geklettert. Konsequenz: Null. Signal: Auch egal.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) fordert lieber eine „Freitest“-Möglichkeit für Menschen in Quarantäne. Anschober hätte sich nicht dagegenstellen müssen. Nachdem nicht einmal mehr die Kapazitäten ausreichen, Kontakte nachzuverfolgen, ist das eine Forderung für eine bessere Zukunft. Im Moment ist sie eher deplatziert.

Und weiter? Die Regierung von Sebastian Kurz hat noch immer kein Ziel für den Winter definiert. Das kann man so deutlich sagen, weil die Mitteilungen so weit auseinandergehen: Kurz stellt etwa 6000 bestätigte Neuinfektionen pro Tag als kritische Marke für einen zweiten Lockdown dar, während Anschober auf die Situation in den Intensivstationen verweist. Das sind weitere Tiefpunkte: Zum einen die Unstimmigkeit. Und zum anderen diese Konzentration auf die höchstmögliche Eskalationsstufe (= Lockdwon), statt sich endlich darauf zu konzentrieren, was jetzt nötig wäre, um das Schlimmste vielleicht doch noch abzuwenden.

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