Nehammers Drahtseilakt

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ANALYSE. Der Kanzler bleibt konsequent an der Seite Israels, ohne sich aber groß zu erklären. Das ist gefährlich.

Karl Nehammer erweckt den Eindruck, endlich zu einer Politik gefunden zu haben, zu der er stehen kann. Es sei an der Zeit, Haltung zu zeigen, meinte der Kanzler zum Nationalfeiertag auf dem Wiener Heldenplatz. Seit dem 7. Oktober heißt das für ihn folgendes: Nicht nur die Hamas wird verurteilt, sondern jegliche Form von Antisemitismus, der auch in Österreich verstärkt wahrnehmbar ist. Zweitens: Solidarität mit Israel im Kampf gegen die Terrororganisation. Das geht so weit, dass Österreich in der UN-Generalversammlung als eines von nur 14 Ländern gegen eine Resolution für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen stimmte. 45 enthielten sich, 120 stimmten dafür. Man staunt.

Hinterher twitterte Nehammer: „Eine Resolution, in der die Terrororganisation Hamas nicht beim Namen genannt wird, in der die Gräuel der Hamas vom 7. Oktober nicht verurteilt werden und in der Israels völkerrechtlich verankertes Recht auf Selbstverteidigung nicht festgehalten wird – eine solche Resolution kann von Österreich nicht unterstützt werden.“

Woher kommt das? Schon klar: Seit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz (ÖVP) wird eine Annäherung an Israel betrieben. Andererseits aber ist man seit Jahren eher nur eine innenpolitisch motivierte Außenpolitik gewohnt. Insofern ist das, was jetzt passiert, alles andere als selbstverständlich.

Gerade wenn man unterstellt, dass es Nehammer hier ausschließlich darum geht, Haltung zu zeigen, kann man diesen einen Punkt nicht oft genug wiederholen: Der Mann ist innenpolitisch schwach. Es ist fraglich, ob sein Kurs von einer breiten Mehrheit unterstützt wird. Umso mehr müsste er seine Motive darlegen – öffentlich und immer wieder.

Sonst könnte die Stimmung kippen, wie sie es in Bezug auf Österreichs Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine getan hat. 54 Prozent lehnen diese laut Eurobaromter-Befragung vom Frühsommer ab. Wie das gemeint ist, erkennt man daran, dass der Zuspruch zu den Sanktionen gegen Russland allein seit Jahresbeginn von 69 auf 55 Prozent eingebrochen ist und dass der Anteil der Menschen, die militärische Hilfe für die Ukraine ablehnen, von 46 auf 56 Prozent gestiegen ist.

Egal? Woher: FPÖ-Chef Herbert Kickl weiß schon, warum er diese Stimmungslage zur seinen gemacht hat und sie in jeder seiner Reden befeuert. Sie trägt ihn und seine Partei mit nach oben. Sie entspricht der Erzählung, dass man neutral sein und sich aus Konflikten anderer Staaten ganz grundsätzlich raushalten sollte.

Nehammer hat dem nichts mehr entgegenzusetzen. Sein Engagement in der Sache ist kaum noch wahrnehmbar. Vor eineinhalb Jahren ist er noch zu Wladimir Putin geflogen und hat Wolodimir Selenskyj alle mögliche Unterstützung zugesagt. Das ist vorbei.

Das Problem ist folgendes: Wenn er jetzt wenigstens Israel dienen möchte, muss er schauen, dass er diesmal eine Mehrheit der Bevölkerung mitnimmt. Sonst ist er in spätestens einem Jahr politisch erst recht Geschichte – und damit wohl auch diese Haltung.

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