ANALYSE. Warum sich die neue Volkspartei nicht gegen Trump oder Orban, sehr wohl aber immer wieder gegen Erdoğan stellt.
Österreichische Reaktionen auf die Unruhen in den USA und die Reaktionen von Präsident Donald Trump? „Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wolle sich auf APA-Anfrage nicht äußern“, so ORF.AT. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) betonte wiederum, dass man „jede Form von Rassismus und Hass in aller Klarheit“ verurteile. Weil das nie eine Lösung sei.
Gut, könnte man jetzt einwenden, ein kleines Land bemüht sich um Diplomatie. Und überhaupt: Selbst die deutsche Regierungschefin Angela Merkel verlor in einem ZDF-Interview kein kritisches Wort über Trump. Andererseits ist die österreichisch Außenpolitik sehr selektiv geworden, um es vorsichtig zu formulieren: Gegen die Notstandsermächtigung, die sich der Ungar Viktor Orban Mitte März verschaffte, hatte Österreich im Unterschied zu anderen EU-Ländern auch nichts einzuwenden. Auch da gab es ein großes Schweigen. Macht dagegen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan von sich reden, kann die rot-weiß-rote Reaktion gar nicht heftig genug ausfallen.
Hier wird eine Welt in Gut und Böse eingeteilt, und die türkise Zuordnung entspricht nicht zufällig einer blauen Vorlage: Gerade bei diesen Beispielen macht sich der Preis bemerkbar, den die neue Volkspartei von Sebastian Kurz für die Macht bezahlt. Sie hat im Kern freiheitliche Politik übernommen, bei Wahlen freiheitliche Wähler gewonnen – und hält sie nun eben auch bei Laune.
Sprich: Sich gegen Trump und den Rassismus stellen, den er befeuert, geht gar nicht; nicht nur, weil Norbert Hofer so viel vom amerikanischen Präsidenten hält, sondern auch, weil man sich damit in eine Allianz mit sehr vielen Menschen in der gemäßigten Mitte und auf der Linken begeben würde. So ähnlich verhält es sich bei Orban. Beziehungsweise umgekehrt bei Erdogan: Die Türkei steht gerade für rechte Österreicher seit 500 Jahren als die große Gegenspielerin eines christlichen Abendlandes. Aus der EU muss sie demnach auch von daher ganz grundsätzlich draußen bleiben.
Womit das nächste Stichwort gefallen wäre: Die ÖVP reibt sich gerne an der EU. Beziehungsweise setzt sie die Europäische Union konsequent in einem negativen Kontext ein: Sie (nicht die 27-Mitgliedsländer) versagt in der Flüchtlingspolitik; sie will uns jetzt auch noch in eine Schuldenunion führen; und sie ist angeblich sogar schuld daran, dass Unternehmen nicht schnell genug geholfen werden kann.
Das ist eine alte freiheitliche Erzählung: Jörg Haider stellte einst fest, dass sich mit einer Politik gegen die EU sehr viele Wähler ansprechen lassen. Das war ihm Befehl, die FPÖ umzupolen – die ÖVP hat diesen Auftrag übernommen.
Das leitet über zu einem vermeintlichen Rätsel: Wie kann es sich die „Wirtschaftspartei“ ÖVP derart mit Unternehmen verscherzen, wie sie es in der Coronakrise tut? Siehe Querfeld bzw. die Kritik des Wiener Kaffeehausbetreibers, der Gegenschlag der Partei und schließlich die Solidarisierung vieler Gastronomen mit ihm gegen sie. O-Ton Christina Hummel (Café Hummel) im „Kurier“: „Ich bin erschüttert. Sind wir in einem Land, in dem man seine Meinung nicht mehr sagen darf?“
Wäre die ÖVP eine Wirtschaftspartei, müsste ihr das weh tun: Sie ist jedoch eine Partei geworden, die sich zwar um Großspender bemüht (siehe „Der Standard“-Bericht dazu), im Übrigen aber ihren Wählern folgt. Und diese Wähler kommen eben zu einem beträchtlichen Teil von den Freiheitlichen. Genauer: Zählt man auch das BZÖ und das Team Stronach dazu, handelt es sich um ein Drittel.
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