Denkzettel, der nicht wirkt

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ANALYSE. Ob SPÖ und ÖVP noch in der Lage sind, sich wie nach ihren Wahlniederlagen 2015 und 2016 auch nur vorübergehend zu erneuern, ist fraglich. Es mangelt an Einsicht und Fähigkeiten.

ÖVP und SPÖ stürzten bei der Landtagswahl ab, während die Freiheitlichen um mehr als 16 Prozentpunkte auf fast 27 Prozent zulegten. Nein, das war nicht gestern in Niederösterreich, sondern im Mai 2015 in der Steiermark. Dieses Ergebnis stand – zusammen mit dem der burgenländischen Landtagswahl am selben Tag – am Beginn einer Serie größerer Verluste auf der einen und Zugewinne auf der anderen Seite. Höhepunkt: Bei der Bundespräsidenten-Wahl 2016 hätte es Norbert Hofer (FPÖ) beinahe in die Hofburg geschafft. Sein Parteichef Heinz-Christian Strache saß Umfragen zufolge quasi schon im Kanzleramt.

Dass ihm dieser Sprung verwehrt blieb, hat vor allem damit zu tun: In den beiden langjährigen Großparteien gab es sehr unterschiedliche Kräfte, die für einen Neubeginn standen oder einen solchen versprachen. In der SPÖ setzte sich Christian Kern durch, in der ÖVP Sebastian Kurz. Das und alles weitere ist bekannt.

Vor diesem Hintergrund könnte man sich zurücklehnen und darauf setzen, dass sich Geschichte wiederholt: Da wie dort muss es infolge der Tirol- und viel mehr noch der Niederösterreich-Wahl klingeln. Tut es aber nicht.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass man zunächst die Landtagswahlen in Kärnten (März) und Salzburg (April) abwarten möchte. Es mangelt vielmehr an Einsicht, aber auch Fähigkeiten.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) führt den Ausgang der Niederösterreich-Wahl auf eine „Gemengelage“ verschiedenster Krisen wie Asyl, Pandemie und Teuerung zurück; und darauf, das es grundsätzlich schlechte Zeiten für Regierende seien. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) spricht in diesem Sinne von einer Protestwalle, die über das gesamte Land rollt und vor den Grenzen Niederösterreichs nicht haltgemacht habe. Zurücktreten will sie nicht.

Kein Zweifel: Multiple Krisen, die auch einer Mittelschicht zusetzen, von der die ÖVP lebt, machen es dieser schwer. In Niederösterreich hat sich die Partei jedoch verkalkuliert, indem sie allein auf Mikl-Leitner setzte. In „Elefantenrunden“ konnte sie nicht erklären, was auf dem Spiel steht und warum man daher „unbedingt“ sie oder ihre Partei wählen sollte.

Mikl-Leitner war laut SORA-Wahltagsbefragung nur für 15 Prozent der ÖVP-Wähler ein Grund, der Partei ihre Stimme zu geben. 2018 handelte es sich noch um 24 Prozent. 2013, unter ihrem Vorgänger Erwin Pröll, lautete die Fragestellung etwa anders, war aber für 79 Prozent ein Wahlmotiv, dass er bester Spitzenkandidat sei und für 90 Prozent, dass er Landeshauptmann bleiben solle.

Gut möglich auch, dass sich nun sehr viele Wähler nicht durch großzügige Ausgleichszahlungen zur Teuerung blenden ließen; dass eine Mehrheit erkannte, dass das Problem so nicht gelöst wird.

Denkbar zudem, dass es aus Sicht einer Masse zu viele Fragen gibt, die die ÖVP in Wien, aber auch in St. Pölten verdrängt: Ihre Ausrichtung nach Sebastian Kurz. Korruptionsbekämpfung. Oder Umgang mit dem ORF im Land.

Die Frage, wie es nach Kurz weitergehen soll, wäre die wichtigste: Es zeigt sich, dass es nach hinten bzw. zum Vorteil der FPÖ ausgeht, wenn Nehammer und Innenminister Gerhard Karner versuchen, türkise Inhalte in türkiser Manier wiederzubeleben. Also Asyl mit Zelten oder dem Ruf nach Zäunen. Wobei das Drama für die ÖVP ist, dass sie niemanden zu haben scheint, der eine inhaltliche Neuausrichtung entwerfen und auch wirkungsvoll vertreten könnte.

Die SPÖ profitiert nicht davon. Bei der Landtagswahl in Oberösterreich ist vor eineinhalb Jahren noch die FPÖ abgestürzt. Die SPÖ selbst legte im Industrieland nur um 0,2 Prozent zu und blieb damit auf einem bescheidenen Niveau (18,6 Prozent). Ähnlich war es in Tirol im vergangenen September, als die ÖVP abstürzte. Wie dort ist sie nun in Niederösterreich erstmals hinter die FPÖ zurückgefallen, hat zudem aber auch noch selbst mehr als drei Prozentpunkte auf weniger als 21 Prozent verloren.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erklärt, es gebe nichts schönzureden. Das gibt es wirklich nicht. Vor allem im Zentrum Niederösterreichs waren die Einbrüche groß. In der Stadt St. Pölten büßte die Sozialdemokratie rund neun Prozentpunkte auf kaum mehr als 27 Prozent ein. Alles in allem erklärt Rendi-Wagner den Wahlausgang damit, dass die ÖVP „mit ihrer verantwortungslosen und inhaltsleeren Asylpolitik“ der FPÖ Wähler zutreibt.

Das ist korrekt. Was aber hat das mit der SPÖ zu tun? Bei der Nationalratswahl 2017 haben FPÖ und ÖVP mit dem Asylthema groß gewonnen, hat die SPÖ als Gegenkraft aber wenigstens in den Städten groß gewonnen. In Innsbruck war sie mit plus acht Prozentpunkten bzw. 28 Prozent größte Partei.

Die Sozialdemokratie könnte auch dann stärker werden, wenn die ÖVP der FPÖ Wähler zutreibt. Sie müsste so oder so ein eigenes, überzeugendes Programm für eine Perspektive in schweren Zeiten liefern. Das ist sie schuldig.

Zunächst aber müsste die Partei selbstverständlich ihre Führungsfrage klären: Ihre Funktionäre in Niederösterreich haben sich zuletzt vielfach darüber beklagt, dass die Differenzen zwischen Hans Peter Doskozil und Rendi-Wagner Wähler abstoßen würden.

Da kann man 100 Mal sagen, Doskozil agiere parteischädigend und fordern, er solle sich zurückhalten: So lange die Sache nicht geklärt ist, wird die SPÖ in Verbindung mit einer politischen Großwetterlage zugunsten der FPÖ weiter verlieren. In fünf Wochen gleich in Kärnten, wo Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) auch das „Pech“ hat, von einem sehr guten Wahlergebnis im Jahr 2018 (47,9 Prozent) ausgehen zu müssen; es zu verteidigen ist schwer bis unmöglich.

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