Van der Bellen tut, was er kann

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ANALYSE. Causa Blümel: Die Möglichkeiten des Bundespräsidenten sind begrenzt. Umso bemerkenswerter, ja größer sind seine Worte.

Die türkise Erzählung zu den Vorfällen in den vergangenen Wochen hat Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in der ORF-Pressestunde bekräftigt. Sie geht folgendermaßen: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hat sich bemüht, dem Ibiza-U-Ausschuss gewünschte Akten zu übermitteln. Sie sind jedoch so sensibel und umfassend, dass es gedauert hat. Letztlich hat’s geklappt. Also: Wozu die ganze Aufregung? Weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen kann kaum hoch genug angerechnet werden, wie er mit dieser Causa umgegangen ist. Auch auf diesem Blog hat es schon Kritik gegeben, er halte sich zu sehr zurück. Man muss jedoch einräumen, wie schwierig das Amt ist, das Van der Bellen bekleidet: Durch Direktwahl demokratisch legitimiert wie kein anderes, ausgestattet jedoch mit sehr begrenzten Möglichkeiten.

Der Bundespräsident ist bei den meisten Handlungen, die er setzt, an Vorschläge der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers gebunden. In diesem Sinne wäre es ihm etwa auch unmöglich, von sich aus den Finanzminister zu entlassen. Voraussetzung dafür wäre eben ein Vorschlag von Sebastian Kurz (ÖVP). Von sich aus – ohne Vorschlag von irgendjemandem – könnte er „nur“ den Kanzler und die gesamte Regierung entlassen.

In der Praxis bräuchte er sehr gute Gründe dafür. Und selbst wenn man der Ansicht wäre, dass sie jetzt aber wirklich gegeben wären, sollte man die Folgen mitbedenken: Die ÖVP ist allen Umfragen zufolge noch immer die mit Abstand stärkste Partei; sie hat nach wie vor viel größeren Zuspruch als SPÖ, FPÖ und alle anderen. Auch Kurz würde eine Kanzlerdirektwahl – Stand heute – klar für sich entscheiden. Im Übrigen, wäre es ihm zuzutrauen, aus einer Entlassung eine „Jetzt erst recht“-Stimmung erzeugen zu können, die ihm eher sogar nützt.

Am Ende könnte Van der Bellen blasser aus einer solchen Geschichte hervorgehen als Thomas Klestil am 4. Februar 2000 bei der Angelobung von Schwarz-Blau I unter Führung von Wolfgang Schüssel bzw. die Konstellation, die er eigentlich verhindern wollte.

Die Macht des Bundespräsidenten geht in der Praxis vor allem von seinen Worten aus. Und auch da muss er aufpassen: Kurz muss seinen Wünschen und Vorstellungen nicht gerecht werden. Die Folge: Auch wenn Van der Bellen hundert Mal sagt, Parlament, Justiz und (z.B.) kritischer Journalismus seien zu respektieren, wird es kaum dazu kommen, wird er irgendwann von zu vielen nicht mehr ernst genommen. Seine Ohnmacht wäre offenbart.

In diesem Sinne hat der Bundespräsident am 6. Mai eine Rede zur Causa Blümel gehalten, die große Kunst ist. Beispielhaft sei dies hier an einigen Sätzen ausgeführt, die dem gesamten Text auf der Website der Hofburg entnommen sind.

„Ich wende mich heute an Sie, weil etwas eingetreten ist, was es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat. Darüber möchte ich Sie unverzüglich unterrichten.“ Botschaft: Wir sind mit einem Ereignis konfrontiert, das in der Geschichte der Republik einzigartig ist; es ist ernst und daher dringlich.

„Der Verfassungsgerichtshof hat auf Ansuchen des Ibiza-UA die Sachlage geprüft und ist zum Schluss gekommen, dass der Finanzminister zur Vorlage verpflichtet ist. Dieses Erkenntnis wurde am 3. März 2021 veröffentlicht. Der Bundesminister für Finanzen ist diesem Erkenntnis NICHT nachgekommen.“ Botschaft: Der Finanzminister persönlich hat ein Höchstgerichtsurteil ignoriert. Dass er dem Erkenntnis, wie die korrekte Formulierung lautet, „NICHT“ nachgekommen sei, steht im Redetext in Großbuchstaben. Was von Türkisen verleugnet wird, wird von Van der Bellen explizit hervorgehoben. Exkurs: Manfred Matzka, ehemaliger Präsidialchef des Bundeskanzleramts, formuliert es in einem „Kommentar der anderen“ in der Tageszeitung „Der Standard“ gewissermaßen zugespitzt positiv; er schreibt von einem Verfassungsbruch durch Blümel und kommt zum Schluss, dass die Voraussetzung für eine Anklage gegeben wäre.

Zurück zu Rede: Van der Bellen zitierte Artikel 146 Absatz 2 der Bundesverfassung, aus dem hervorgeht, dass die Exekution des VfGH-Erkenntnisses dem Bundespräsidenten obliegt. „Sie (die Exekution) ist nach dessen Weisungen durch die nach seinem Ermessen hiezu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen.“ Botschaft: Das Bundesheer! Allein der Verweis auf die Armee verstärkt den Einleitungssatz der Rede, wonach sich hier etwas Einmaliges zuträgt: Wenn das Bundesheer den Finanzminister zu etwas zwingen muss, wozu er verpflichtet wäre, sich aber zu tun weigert, unterstreicht das den Ernst der Lage.

„Unsere Bundesverfassung legt Demokratie und Rechtsstaat als tragende Säulen unseres Gemeinwesens fest, sie schreibt die Gewaltenteilung fest. Sie regelt, wer im Staat wofür verantwortlich ist.  Sie regelt unser aller Zusammenleben“, hielt der Bundespräsident schließlich fest: „Niemand steht über dem Gesetz. Die Verfassung gilt für ALLE Menschen gleich.“ „ALLE“ ist das zweite Wort, das im Redetext durchgehend groß geschrieben ist. Botschaft: Das muss hier betont werden, weil es einen gibt, der sich davon ausgenommen fühlt: Finanzminister Gernot Blümel.

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