Wer Kurz (noch) stützt

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ANALYSE. Seinen Landeshauptleuten muss der Kanzler und ÖVP-Chef liefern, mit ihnen darf er es sich nicht verscherzen. Das wird immer schwieriger.

Das System beginne zu kippen, warnte der ehemalige Justizsprecher der ÖVP, Michael Ikrath, auf einer Pressekonferenz, auf der er mit Leuten wie Ex-ÖGH-Präsidentin Irmgard Griss und der früheren „Ibiza“-Staatsanwältin Christina Jilek ein Volksbegehren für den Rechtsstaat und gegen Korruption vorstellte. Dass die Initiative von der türkisen Volkspartei unterstützt wird, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil, würde es sich doch um ein Eingeständnis handeln, dass Finanzminister Gernot Blümel mit seiner Weigerung bis zuletzt, einem VfGH-Erkenntnis nachzukommen, ebenso zu weit gegangen ist, wie es der Abgeordnete Andreas Hanger mit seinen ständigen Angriffen auf die Justiz tut – bzw. wie es unter Verantwortung von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz läuft.

Der 34-Jährige hat allen Grund, besorgt zu sein. Hier geht es auch um sein System. All die Chatprotokolle sind nicht zuletzt für ihn „gefährlich“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in einer aktuellen Analyse festhält. Eine allfällige Anklage wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss könnte er noch überstehen, eine Verurteilung kaum.

Mehr denn je ist Kurz auch vom Wohlwollen jener abhängig, über die er 2017 vorgab, sich hinwegzusetzen. Die Rede ist von den (schwarz-türkisen) Landeshauptleuten, von denen er sich eine Art Generalvollmacht ausstellen ließ, schalten und walten zu können, wie es ihm gefällt. Das war Inszenierung bzw. nur ein Bluff: In der Realität hat sich an den Spielregen nichts geändert: So lange der Bundesparteichef den Interessen der Landeshauptleute gerecht wird, lassen sie ihm freie Hand. Am besten funktioniert das naturgemäß, wenn der Parteichef auch Kanzler und damit in der Regierung bestimmend ist. Insbesondere in finanziellen, aber auch sonstigen Fragen der Macht. Dann kann er fast jeden Wunsch erfüllen. Kurz war dies zumindest in den ersten Jahren seiner Amtszeit(en) maximal möglich.

Jetzt ist jedoch ein Kipppunkt näher gerückt: Schon im Frühjahr markierte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) Grenzen des Sebastian Kurz, als es um Corona-Beschränkungen ging. Platters Abgeordneten drohten damit, auf parlamentarischer Ebene dagegen zu stimmen und damit auch die Koalitionsmehrheit zu gefährden.

Im Zusammenhang mit den aktuellen Affären war es bisher ruhig, obwohl etwa die Kurz-Aufforderung, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben, gerade auch ÖVP-Kernwählerinnen und -wählern missfiel. Landeshauptleute von Markus Wallner bis Johanna Mikl-Leitner schien das nicht weiter zu stören. Von ihnen ist jedenfalls kein ernstes Wort dazu überliefert. Sie haben eher geschwiegen. Grund: Ihnen ist wichtiger, mit Kurz weiterhin einen Mann zu haben, der ihre Interessen sichern kann.

Gefährlich wird es für Kurz erst, wenn seine Führung und alles, was damit einhergeht, gegen sie gerichtet ist oder beginnt, ihnen zu schaden. Insofern ist es kein Zufall, aber bemerkenswert, dass sich der oö. Landeshauptmann Thomas Stelzer gerade als erster kritisch geäußert hat: Die Justiz dürfe kein Spielball politischer Interessen werden „oder gar als Zielscheibe für Angriffe herhalten“, ließ er wissen. Und: Höchstgerichtliche Entscheidungen müssten selbstverständlich rasch umgesetzt werden.

Natürlich: Stelzer wählte eine inhaltliche Ebene, der persönlichen wich er aus, um Kurz nicht direkt angreifen zu müssen. Im Übrigen stehen seine Chancen gut, dass er trotz allem als Sieger aus der oö. Landtagswahl im Herbst hervorgehen wird. Stelzer sieht sich offenbar aber gezwungen, sich von gewissen Praktiken zu distanzieren. Insofern kann Kurz nur hoffen, dass nicht noch mehr Chats bekannt werden. Sonst könnte Stelzer deutlicher werden müssen.

Unabhängig davon wird es für den Kanzler immer schwieriger, Wünsche der Landeshauptleute unter seinen Parteifreunden zu erfüllen: Die vergangenen Wochen haben dazu beigetragen, dass alles, was er tut, mit einem Verdacht belegt ist, und daher unter verstärkter Beobachtung von Opposition, Medien und anderen steht; bis hin zu Postenbesetzungen geht unter den Umständen weniger denn je „einfach nur türkis“, steigt der Druck, korrekt im Sinne einer größeren Allgemeinheit zu sein.

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