ANALYSE. Der Bundespräsident kann weder einen Missbrauch des Parlaments unterbinden noch einen Kanzler Kickl verhindern. Die Aussichten auf die zweite Amtszeit sind übel.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird vielleicht bereut haben, sich im vergangenen Herbst um eine weitere, sechsjährige Amtszeit bemüht zu haben. Es wäre verständlich. Kommenden Donnerstag findet die Angelobung statt. Ausgerechnet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wird laut Protokoll eine Ansprache zu seinen Ehren halten, dessen Amtsführung eine Zumutung für den Parlamentarismus und damit auch die gesamte Demokratie darstellt, wie unter anderem hier schon einmal ausgeführt worden ist; der gerade erklärte, dass es bedauerlich sei, dass der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss aufgrund einer Blockade der Volkspartei beendet ist – obwohl es von allem Anfang an sein Job gewesen ist, die Untersuchungen zu torpedieren.
Van der Bellen könnte das anprangern und Sobotka rügen. Bei der Zeremonie nächste Woche im historischen Sitzungssaal des baulich sanierten Parlaments wird er nach diesem eine Ansprache halten. Das Problem des 79-Jährigen ist jedoch, dass das nichts bringen würde. Sobotka wird in jedem Fall weiter seiner Partei und seinem Kanzler dienen, anstatt im Sinne der Gewaltenteilung dafür zu kämpfen, zum Beispiel ein hartnäckig-kontrollierendes Gegengewicht bilden zu können.
Und überhaupt: Der Bundespräsident mag mit einer deutlichen Mehrheit im Amt bestätigt worden sein, im politischen Alltag steht er jedoch für eine verschwindend kleine Minderheit. ÖVP, SPÖ und FPÖ zeigen kein Interesse an entschlossener Korruptionsbekämpfung oder Strukturreformen, die dem Klima nützen oder soziale Systeme längerfristig sichern. Türkise würgen die Wiener Zeitung ab, versuchen den ORF zu schwächen und die Kontrolle über die Journalismusausbildung zu gewinnen. Rote und Blaue scheint das nicht weiter zu stören. Grüne, die Van der Bellen einst geführt hat, tragen sehr vieles sogar mit. Bleiben nur die Neos, die sich in Opposition befinden, und daher nicht in die Verlegenheit kommen, das ebenfalls tun zu müssen. Sie halten in einem Van der Bellen’schen Sinne dagegen. Aber das ist eine Acht-Prozent-Partei.
Der Bundespräsident muss es sich vor diesem Hintergrund dreimal überlegen, ob er sagt, was gesagt gehört. Mit jedem Mal riskiert er, einmal mehr ignoriert zu werden. Und auf Dauer von Parteien, die eine überwältigende Mehrheit repräsentieren, einfach nur wie ein alter Mann behandelt zu werden, der weise sein mag, aber nicht mehr ernst genommen wird.
Das Funktionieren der Demokratie im Geiste der bestehenden Verfassung setzt voraus, dass sich alle zusammenreißen und diesem Geist gerecht werden. Tun es weder Parlament noch die meisten Parteien und die Regierung, ist der Bundespräsident ohnmächtig. Er könnte den Nationalrat auflösen, aber nur einmal aus dem gleichen Grund.
Das leitet über zu seinen Grenzen: Wenn morgen in weiterer Folge gewählt werden würde, wäre die FPÖ vorne. Van der Bellen müsste sich mit der Frage herumschlagen, ob er Herbert Kickl als Bundeskanzler akzeptiert. Wenn die FPÖ aber klar stärkste Partei ist und sich die ÖVP dafür hergibt, ihre Juniorpartnerin zu sein, um wenigstens ein bisschen Macht behalten zu können, kann Van der Bellen nichts ausrichten.
Er würde riskieren, dass es hart auf hart geht: Er wählt einen anderen Kanzler mit einem anderen Kabinett, dieses wird jedoch umgehend mit blau-türkiser Mehrheit im Hohen Haus abgewählt. Freiheitliche hätten womöglich sogar ihre Freude, könnten sie so Van der Bellen doch nur noch mehr demütigen und ihren Anhängern signalisieren, dass sie ausgegrenzt würden und sich daher erst recht holen müssten, was ihnen zustehe: die Führung über die Republik.
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